Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
unsichtbar.
Wildschweine, dachte er. Er wusste ja, dass es in dieser Gegend jede Menge von ihnen gab. Wildschweine liebten Edelkastanienwälder, Steineichen und Buchen.
Jetzt war es wieder still.
Reglos lauschte Massimo. Wo waren sie hin? Wahrscheinlich beobachteten sie ihn, horchten ebenso angespannt wie er selbst. Falls sie schon Junge hatten, konnte es gefährlich werden.
Er begriff sein eigenes Verhalten nicht mehr. Weshalb nur war er einfach immer weitergelaufen? Er hasste es, wenn er Dinge tat, die ihm nicht bewusst waren, wenn ihn Gedanken so sehr in Anspruch nahmen, dass er seine Außenwelt nicht mehr wahrnahm. Andererseits konnte er sich beim Gehen besonders gut konzentrieren. Er schätzte die Vorwärtsbewegung, in jeder Beziehung – beruflich, privat, finanziell.
An diesem Nachmittag hatte er seine Wachsamkeit vergessen, obwohl er eigentlich ein sehr wachsamer Mensch war. Auch das gehörte zu seinem Beruf.
In diesen gefährlichen Zeiten erforderte das Bankgeschäft ständige Wachsamkeit. Paolo Massimo hatte es geschafft, griechische und irische Staatsanleihen rechtzeitig abzustoßen und auf diese Weise seine Bank aus größeren Schwierigkeiten herauszuhalten. Er hatte auch nicht in amerikanische Immobilienfonds investiert, sondern in australische Staatsanleihen und Bergbauaktien. Den Amerikanern hatte er ohnehin nie viel zugetraut, und ihre diversen Blasen und Krisen hatte er schon lange kommen sehen. Leuten, die auf einen lächerlichen italienischen Hochstapler hereinfielen, der sich als Repräsentant der Vatikanbank ausgab, wie es vor einigen Jahren geschehen war, würde er nie auch nur einen Cent anvertrauen.
Obwohl er noch immer bewegungslos dastand und in den Wald horchte, stieß er bei der Erinnerung an diese Affäre ein leises Lachen aus. Sogar eine Hollywood-Schönheit war auf dieses Großmaul hereingefallen, ehe sie dann dabei half, ihn ins Gefängnis zu bringen.
Nein, die Amerikaner waren ihm zu naiv und auf zu direkte, ja schamlos gierige Weise profitorientiert. Sie hatten keinen Stil, keine Klasse. Manchmal waren sie nützlich, aber nur manchmal.
Massimo setzte stattdessen auf die Zusammenarbeit mit Deutschen und Schweizern. Die Entwicklung nach der großen Finanzkrise hatte ihm recht gegeben. Jetzt stand er kurz davor, eine deutsche Bank zu übernehmen, höflicherweise bezeichnete man das als Fusion. Gemeinsam mit seiner Banca libera eröffneten sich damit –
Schrill quiekend warfen sich die unsichtbaren Wildschweine erneut ins Unterholz, rasten, noch immer nicht zu sehen, knapp an Massimo vorbei talwärts, jedenfalls hörte es sich so an. Das Lärmen entfernte sich, aber jetzt fingen mehrere Vögel gleichzeitig zu singen an, als hätten die Schweine sie daran erinnert, dass sich der Tag neigte.
Paolo Massimo warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Kurz nach fünf. Vor sieben Uhr würde es nicht dunkel werden, eher halb acht. Er hatte also Zeit genug, zu seinem Haus zurückzukehren. Trotzdem beschleunigte er seinen Schritt – vielleicht hatte Antonella doch auf dem roten Telefon angerufen. Oder jemand anders.
Die Unterzeichnung des Fusionsvertrags mit der deutschen Bank stand kurz bevor. Die Deutschen machten es ihm nicht leicht, und manchmal zweifelte er daran, ob sie diesen Zusammenschluss wirklich wollten. Besonders der Urenkel des Gründers der Hardenberg Bank wehrte sich mit Händen und Füßen. Verständlich, irgendwie. Aber gleichzeitig auch unverständlich, denn durch die Fusion konnte die Hardenberg Bank deutlich an Gewicht gewinnen.
Nach dem Streit gestern bei ihrem Geschäftsessen in Florenz hatte Massimo auf seinem Notizblock hinter den Namen Leo Hardenberg zwei Fragezeichen gemacht. Nun ja, Hardenberg war das eine. Aber da gab es noch mehr Fragezeichen: Einige der Manager bangten sichtlich um ihre Posten, das hatte er bei den Verhandlungen registriert. Möglicherweise fürchteten sie sich auch vor ganz anderen Dingen, die bei einer Fusion ans Licht kommen könnten.
Außerdem arbeitete die Hardenberg Bank mit einer Sicherheitsfirma zusammen, die Angestellte und Geschäftspartner ohne deren Wissen überprüfte … so etwas Ähnliches lief bei allen Banken, die Massimo kannte, auch bei seiner eigenen. Man musste vorsichtig sein, es ging schließlich um viel Geld, und das verführte mitunter auch die Besten zu unlauterem Verhalten. Im Grunde funktionierten die großen Banken und Konzerne inzwischen ähnlich wie Staaten, gaben viel Geld für ihre jeweils eigenen
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