Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
Geheimdienste aus, um ihre Profite abzusichern, an Insider-Informationen zu kommen und sich gegen Spionage und Betrüger zu wehren. Wer dabei nicht mitmachte, hatte das Nachsehen.
Wieder rutschte er aus und umklammerte im letzten Augenblick einen dünnen Baumstamm, der sich unter seinem Gewicht bog. Diesmal hatte er sich irgendeinen Muskel auf der Innenseite des rechten Oberschenkels gezerrt. Leise fluchend massierte er sein Bein.
Seltsamer Spaziergang, dachte er. Entspannung in der Natur. Noch so ein Irrtum dieser Zeit.
Jetzt humpelte er, humpelte schneller, hatte das Gefühl, dass irgendetwas geschehen war und er dringend sein rotes Telefon erreichen sollte. Weil er durch den schmerzenden Oberschenkel behindert war, nahm er den Weg jetzt deutlicher wahr: Felsbrocken, über die man stolpern konnte, verrottende Edelkastanienschalen, die weichfellig und trügerisch die glitschige Erde bedeckten, wie ein rutschender Teppich auf glattem Parkett. Er hielt inne und schaute nach oben, um zu prüfen, wie lange es noch hell bleiben würde. Der Himmel über den Baumwipfeln war durchsichtig blau, an manchen Stellen hellgrün, weit oben zogen ein paar zerfledderte Wolken nach Osten, weiß und noch sonnenbeschienen.
Unten bei Paolo Massimo war es dämmrig, unterwasserartig grün. Er mochte das nicht, verstand plötzlich nicht mehr, weshalb er sich hier, an diesen waldigen Hängen, bisher meistens wohl gefühlt hatte. Möglicherweise lag es daran, dass er immer nur im Hochsommer hergekommen war. Im Sommer waren die Wälder warm und luftig, und seine Frau und die Kinder liebten das Haus, das große Schwimmbecken, den riesigen Park, die Ausflüge, auf denen sie Pilze suchten und Brombeeren pflückten. Meistens verbrachte seine Familie die gesamten Sommerferien hier, gemeinsam mit vielen Freunden, und er besuchte sie an den Wochenenden. Wenn möglich. Sehr häufig war das nicht vorgekommen.
Seit gestern war er allein hier, zum ersten Mal, und er war sich plötzlich sicher, dass er einen Fehler gemacht hatte. Das Haus war noch winterkalt, obwohl der Bauer Rieti, sein direkter Nachbar, vor Massimos Ankunft die Heizung eingeschaltet und sogar Feuer im offenen Kamin gemacht hatte. Rieti arbeitete nebenher als eine Art Hausmeister und Gärtner für einige Anwesen der Gegend um Bagno Vignoni.
Rätschende Eichelhäher flogen vor Paolo Massimo auf. In seinem Oberschenkel verebbten allmählich die Schmerzen, und dann, endlich, nach beinahe einer Stunde, öffnete sich der Wald, ging in Olivenhaine, Weinberge und Felder über. Da war das Tor, sein Tor. Er war angekommen.
Doch in seiner Abwesenheit hatte sich etwas Entscheidendes verändert. Als er vor ein paar Stunden zu seiner Wanderung aufgebrochen war, hatte er den stillen, völlig einsamen Park als erschreckend verlassen empfunden.
Jetzt war der Park voller Menschen. Er erkannte Uniformierte, Carabinieri, aber auch Männer und Frauen in Zivil, Hunde, sogar Autos.
Der Blick auf seinen Park erschien Paolo Massimo wie ein Traumbild. Am Rand dieses Bildes blieb er stehen und versuchte zu begreifen.
Vielleicht hatte Antonella die Polizei alarmiert, weil er seit beinahe drei Stunden nicht erreichbar gewesen war. Möglicherweise durchsuchte die Polizei gerade den Park, um ihn zu finden. Er hätte sich also keine Sorgen machen müssen. Auf Antonella war Verlass. Man hätte nach ihm gesucht. Trotzdem hielt etwas Unbestimmtes ihn davon ab, das Tor zu öffnen und hindurchzugehen.
Welche anderen Gründe konnte es für diese Invasion seines Privatgeländes geben? Was suchten die Polizisten, wonach schnüffelten diese deutschen Schäferhunde? Wonach scharrten sie unter seinen alten Olivenbäumen? Ihm gefiel der Anblick dieser Hunde nicht. Die Begegnung mit den unsichtbaren Wildschweinen erschien ihm wie ein böses Omen. Waren es wirklich Wildschweine gewesen?
Was sonst?
Diese Stürze … seit seiner Kindheit war er nicht mehr hingefallen.
Paolo Massimo betrachtete seine verschmutzte Kleidung und überlegte, ob es nicht klüger wäre, ins Dorf hinaufzugehen und in der Bar abzuwarten, ob man tatsächlich nach ihm suchte. Wenn es so war, würde man ihn auch dort finden. Möglicherweise war es nicht günstig, schlammverschmiert vor den Carabinieri zu erscheinen. Schmutzige Menschen zogen immer Verdacht auf sich.
Seltsame Gedanken. Er versuchte sich zu konzentrieren, sich daran zu erinnern, ob er in letzter Zeit einen der Mächtigen verprellt hatte. Womöglich hatte einer von denen ihm die
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