Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
Wohnraum.
«Ich komme mit, Commissario. Vengo anch’io.»
Tommasini schob die große Glastür auf und ließ dem Commissario den Vortritt.
Es ist immer noch zu kalt für die Jahreszeit, dachte Guerrini. Und es regnet zu viel. Das Klima in Italien ähnelte immer mehr dem von Irland. Ein Stiefel voller Wasser, Dreck und Schulden. Vielleicht lag es daran, dass er älter wurde und in die Phase eintrat, in der früher alles besser gewesen war: das Wetter sowieso, das Leben im Allgemeinen, die Politik. Nein, das behaupteten nicht einmal die ganz Alten, die angeblich nie Mussolini zugejubelt hatten. Die Politik hatte in etwa ihr niedriges Niveau gehalten. Guerrini seufzte und wandte sich zu Tommasini um.
«Mühsam, was?»
«Sì, Commissario. Glauben Sie, dass es noch lange dauern wird?»
«Keine Ahnung.»
«Glauben Sie, dass er’s war? Ich meine, dass er einen umgebracht und hier vergraben hat?»
«Ich glaube gar nichts. Ich warte auf Tatsachen.» Langsam ging Guerrini auf die hellsten Scheinwerfer zu.
«Aber irgendwas denken Sie doch, Commissario.»
«Nichts Besonderes. Ein merkwürdiges Theater ist das hier … mehr nicht. Außerdem bin ich müde und habe Hunger. Was denkst du denn, Tommasini?»
«Niente, absolut nichts. Ich hab keine Ahnung.»
«Weshalb sollte ich dann etwas wissen, eh? Du hast mindestens so viel Erfahrung wie ich!»
«Was passiert, wenn wir keine Leiche finden?»
«Dann ziehen wir wieder ab wie die Idioten und sind auf einen anonymen Anruf reingefallen. Der Herr Bankdirektor wird sich einen edlen Drink genehmigen und beten, dass die Medien keinen Wind von der Geschichte bekommen. Aber das werden sie natürlich, und dann … ach, du weißt schon. Der Staatsanwalt kriegt einen Rüffel, der Richter auch. Irgendwer verliert seinen Posten oder auch nicht. Vielleicht lässt sich seine Frau scheiden oder er sich von ihr, weil sich herausstellt, das sie ihn hingehängt hat, um sich für irgendwas zu rächen. Was weiß ich!»
Tommasini grinste in der Dunkelheit und folgte dem Commissario als stiller Schatten. Nach einer Weile hustete er leise.
«Haben Sie eigentlich noch Schmerzen, Commissario? Von der Schusswunde, meine ich. Entschuldigen Sie die Frage.»
«Ja, leider habe ich noch Schmerzen, aber keine besonders starken. Nur ab und zu so ein unangenehmes Ziehen, das mich an meine Sterblichkeit erinnert.»
Tommasini seufzte. «Ich bin sehr froh, dass Sie wieder arbeiten können, Commissario. Es war nicht gut in der Questura ohne Sie. Das wollte ich nur mal sagen.»
«Ohne dich ist es auch nicht gut in der Questura, Tommasini. Aber ich danke dir auch dafür, dass du dich um Laura gekümmert hast, als ich im Krankenhaus lag.»
«Das hab ich gern getan. Ich mag Signora Laura.»
Ich auch, dachte Guerrini und wollte gerade sagen, dass sie jetzt beide Gefahr liefen, vor Rührung in Tränen auszubrechen, als ein Ruf aus der Ferne erklang, der von anderen aufgenommen wurde und endlich bei Guerrini und Tommasini ankam: «Hanno trovato il corpo!»
«Sie haben ihn gefunden», murmelte Tommasini mit belegter Stimme. «Was glauben Sie jetzt, Commissario?»
«Niente, Tommasini.»
Sie schlossen sich der Prozession von Glühwürmchen an, die sich in Richtung der Fundstelle in Bewegung setzte. Guerrini fühlte sich an die vielen nächtlichen Prozessionen erinnert, die er in seiner Kindheit mitgemacht hatte – auf Berge, durch Felder, enge Dorfstraßen. Mit Kerzen in den Händen, deren heißes Wachs auf seine Finger tropfte. Und vor ihm stets eine schwankende Marienstatue oder die irgendeines Heiligen, getragen von schwitzenden Männern, dahinter murmelnde alte Frauen in schwarzen Gewändern. Er hatte sich oft gefürchtet, damals, und in seiner Phantasie wurden die Gebete, deren Sinn er nicht verstand, zu Geisterbeschwörungen.
Das hier hatte ebenfalls etwas von einer Geisterbeschwörung. Außerdem verspürte Guerrini keinerlei Bedürfnis, eine Leiche zu begutachten, die gerade aus der nassen Erde gezogen worden war. Er versuchte nicht weiterzudenken, nicht an die mögliche Verbindung von Dottor Paolo Massimo zu dieser Leiche, auch nicht an andere Verbindungen. Denn natürlich hatte er Tommasini nicht die Wahrheit gesagt, natürlich hatte er längst in alle möglichen Richtungen gedacht: an eine Verschwörung zum Beispiel. In Italien dachte man stets an Verschwörungen, wenn jemand von anonymen Anrufern beschuldigt wurde.
Im Licht der Handscheinwerfer und großen Taschenlampen leuchteten unter den
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