Zeit für Plan B
mich.
»Was getan?«
»Jack Shaw entführt. Im Fernsehen sagen sie, ihr alle hättet Jack Shaw entführt.«
»Sehe ich aus wie ein Entführer?«, fragte ich ihn und unterbrach mein Dribbeln.
»Nein.«
»Jack ist mein Freund.«
»Warum sind die alle dann hier?«, fragte er und deutete auf die Presseleute unten an der Straße, die, da sie nichts Besseres zu tun hatten, lustlos ein paar Schnappschüsse von uns machten.
»Hör zu«, sagte ich, während ich ihn von den Teleobjektiven wegdrehte. »Wenn du einen Freund hättest, der Probleme hat, würdest du dann nicht alles tun, was du kannst, um ihm zu helfen?«
»Du meinst, wenn er Drogen nimmt?«
»Okay, ja. Wenn er Drogen nimmt.«
Jeremy dachte einen Augenblick lang darüber nach. »Ja, ich denke schon. Aber ich würde ihn nicht entführen.«
»Na ja«, sagte ich und setzte mich aufs Gras. »Und was, wenn du wüsstest, dass du ihm helfen könntest, er aber so völlig neben der Spur ist, dass er sich von niemandem helfen lassen will? So völlig neben der Spur, dass du dir Sorgen machst, er könnte sterben, bevor ihm irgendjemand hilft?«
»War er wirklich so neben der Spur?«
»Das war er. Und wir waren verzweifelt, weil wir dachten, unser Freund könnte womöglich sterben.« Mir fiel ein, dass Jack Jeremys Idol war, und ich hoffte, dass ich ihm das nicht kaputt machte. Der Junge hatte bereits genug Enttäuschungen durchlebt.
»Ihr habt ihn also hierhergebracht, um ihm zu helfen?«, fragte Jeremy. »Um ihn von den Drogen wegzubringen?«
»So ist es«, sagte ich. »Aber sag das denen nicht.« Ich deutete auf die Reporter.
»Und wo steckt er jetzt?«
»Das«, sagte ich, während ich wieder aufstand, »ist die große Frage.«
»Ihr wisst es nicht?«, fragte er schockiert.
»Er ist geflohen«, gestand ich.
»Und dann haben sie seine Brieftasche gefunden?«
»Ja.«
Jeremy nahm den Ball und warf ihn nachdenklich in die Luft. »Meinst du, er ist tot?«
»Ich hoffe nicht, aber wir machen uns wirklich große Sorgen um ihn.«
Es entstand eine Pause. »Heute Abend ist Halloween«, sagte er schließlich.
»Wirklich?« Überrascht stellte ich fest, dass ich das völlig vergessen hatte.
»Ich glaube nicht, dass ich bei dem
Trick-or-Treat
-Streich mitmachen kann«, sagte er.
»Die Maske.« Jetzt fiel es mir wieder ein. »Hast du sie nicht mehr gefunden?«
»Nein. Außerdem, meine Mom würde mich nicht allein losziehen lassen, und meine Schwester hat keine Lust.«
»Du kannst rüberkommen und bei uns mitfeiern, wenn du willst.«
Er sah zu mir hoch. »Werdet ihr euch denn verkleiden?«
»Ich weiß nicht. Ich habe eigentlich noch gar nicht darüber nachgedacht.«
»Aber es ist doch Halloween«, ermahnte mich Jeremy. »Da muss man sich verkleiden.«
»Ist das ein Gesetz, oder wie?«
»Ja.«
»Na ja, warum kommst du dann nicht zum Essen zu uns, und ich überlege inzwischen, was ich tun kann?«
»Ich muss erst meine Mom fragen.«
»Okay.«
Wir hörten ein Rumpeln und sahen hinunter zur Straße, wo in diesem Augenblick ein weißer Schulbus vor dem Haus anhielt. Die Türen gingen auf, und ein Haufen Jugendlicher strömte ins Freie und auf die Straßenseite, auf der die Presse ihr Lager aufgeschlagen hatte. Die meisten von ihnen waren Mädchen, in Jeanshosen und -jacken, aber hier und da sah ich in der Gruppe auch ein paar Jungen. Deputy Dan kam angerannt und winkte entnervt mit beiden Händen, aber die Jugendlichen schienen ihn mehr oder weniger zu ignorieren. Die Letzten, die aus dem Bus kletterten, trugen hölzerne Tafeln aus Weißeiche, die sie an einige ihrer Altersgenossen verteilten. Die Medienleute machten sich an ihren Kameras zu schaffen und begannen, einige der Jugendlichen zu filmen und zu interviewen, die sie dabei nur zu gern unterstützten. Von dort, wo wir standen, konnten Jeremy und ich die Schriftzüge auf den Holztafeln lesen.
Bringt Jack zurück, Wir beten für dich, Jack
oder einfach nur
Wo ist Jack?
Alles in allem zählte ich an die dreißig Jugendliche.
»Was machen die denn da?«, fragte Jeremy.
»Sieht aus, als wollten sie eine Mahnwache halten«, sagte ich. Deputy Dan war inzwischen zurück zu seinem Wagen gerannt und quasselte aufgeregt in sein Funkgerät. Die Medienleute, dankbar, dass sie endlich etwas zu tun hatten, schwärmten jetzt um die Jugendlichen und suchten nach Gesichtern und Gesprächsfetzen, die sie in ihrem nächsten Sendebeitrag bringen konnten.
»Was heißt das?«
»Das heißt, sie werden hier bleiben, bis
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