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Zeit für Plan B

Zeit für Plan B

Titel: Zeit für Plan B Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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in der Lobby warten lassen, als er Jack in New York herausgeschmuggelt hat. Lassen wir ihn dort draußen ruhig noch ein bisschen zappeln.«
    »Warum müssen wir denn überhaupt mit ihm sprechen?«, fragte Lindsey.
    »Vielleicht hat er von Jack gehört«, mutmaßte Chuck.
    »Wenn er irgendetwas wüsste, wieso sollte er damit zu euch kommen?«, sagte Don. »Er weiß doch noch weniger als ihr.«
    »Und wie beängstigend ist das?«, fragte Alison.
    »Was?«
    »Dass irgendjemand noch weniger weiß als wir.«

38

    E ine der frühesten Erinnerungen, die ich an meinen Vater habe, ist, wie er uriniert. Nicht so sehr der Anblick, denn er hatte mir dabei den Rücken zugewandt, sondern vielmehr die überraschende Kraft des Geräuschs, mit dem sein Urin auf das Wasser in der Toilette traf, ein gewaltiger Bass, der so viel stärker und tiefer war als das Geräusch meines eigenen Urinierens, das eher wie ein feines Klirren klang. Ich muss etwa vier Jahre alt gewesen sein, und ich kann mich nicht mehr erinnern, welche Umstände dazu geführt hatten, dass ich anwesend war, während mein Vater seine Blase entleerte. Vielleicht hatte er mich gebadet und wollte mich nicht allein in der Wanne sitzen lassen und eine andere Toilette aufsuchen. Vielleicht waren wir zusammen irgendwo auf einer öffentlichen Toilette, ich weiß es nicht. All diese Details, bis auf das Geräusch des Strahls und den Anblick seiner Körperhaltung, leicht gebeugt, während ein Arm um die Hüften in der Leistengegend verschwand und der andere das lose Ende des Gürtels hielt, wurden aus meinem Gedächtnis gelöscht. Aber es war allein das Geräusch, das mich völlig verblüffte. Wie muss es wohl sein, fragte ich mich, so viel Energie durch ein solch schlaffes Anhängsel zu entfesseln? Als ich älter wurde, brachte ich das Geräusch eines kräftigen Urinstrahls immer mit Männlichkeit in Verbindung, war stolz auf meinen, wenn er tief widerhallte, und litt unter einer plötzlichen Unsicherheit, wenn er mir schwächlich oder unstabil vorkam.
    Ich wusste nicht, wieso ich an diese Sache denken musste, während ich ein Skelett aus Pappe, das im Dunkeln glühte, außen an der Haustür der Schollings befestigte. Ich entschied, dass es vermutlich daran lag, dass ich an Jeremy dachte und an den Verlust,den er eben erst erlitten hatte. Deinen Vater in diesem Alter zu verlieren, wenn er noch eine solch starke Persönlichkeit in deinem Leben ist, wenn er deine Wahrnehmungen mit scheinbar unbedeutenden Worten oder Gesten sowohl absichtlich als auch zufällig kontinuierlich prägt, das war ein Verlust, den ich niemals begreifen würde. Wenn mein Vater morgen sterben würde, dann würde ich den Mann verlieren, der in vielerlei Hinsicht dafür verantwortlich war, was für ein Mann ich selbst geworden war, aber Jeremy hatte seinen Vater verloren, als er selbst noch im Werden war. Wer wusste schon, welche Eindrücke sich bereits geformt hatten und wie viele neue aus einer Vielzahl anderer Quellen nun noch kommen mussten? Wenn ich in diesen Begriffen dachte, konnte ich mir die Verwirrung und Unsicherheit, die Jeremy in den nächsten Jahren begleiten würden, nur vorstellen.
    In gewisser Weise, dachte ich, während ich das linke Bein des Skeletts befestigte und das rechte in Angriff nahm, war das eine Erklärung dafür, weshalb er so rasch Zutrauen zu mir gefasst hatte, dem ersten männlichen Erwachsenen, dem er nach dem Tod seines Vaters begegnet war. Und mein starkes, fast schon väterliches Zugehen auf ihn beruhte vielleicht auf dem unbewussten Glauben, der in seiner Zuneigung zu mir lag, dem Glauben, dass ich ein ausgereifter Erwachsener war, zu dem man aufblicken konnte, um ein Leitbild zu haben, um die Leere zu füllen. Und vielleicht konnte ich durch seine Augen schließlich mich selbst als Erwachsenen sehen, als jemanden, der nicht mehr durch einen anderen geprägt war, sondern der nun selbst ein abgerundeter Mensch war, der die Wahrnehmungen eines anderen prägen konnte.
    Dieser Gedanke hatte etwas Tröstliches und gleichzeitig Beängstigendes. Als Kind hörte ich meinen Vater urinieren, und der Junge, der ich damals war, entwickelte seine erste vage Vorstellung von Männlichkeit, schnell vergessen, aber sicher gespeichert in meiner Psyche. Ich wollte Jeremy sagen, dass er in ähnlicher Form vergesseneErinnerungen an seinen Vater in sich trug, Erinnerungen, die kontinuierlich aufsteigen würden, während er erwachsen wurde, und die das lebendige Band zwischen ihm und seinem

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