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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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eingerichtet. Viermal sei er mit dem Wilhelm losgezogen. Der Bruder habe zu den Spartakisten und zu ihrem Führer Karl Liebknecht gehört. Er wollte, dass alles ganz anders werde in Deutschland. Eine Räterepublik müsse erkämpft werden.
    »Alle Macht den Räten!«, schloss der Junge. Glanz war in seine Augen getreten. »Alle Macht den Räten, das hat der Wilhelm immer gesagt.«
    Frau Podolski hatte gespannt zugehört. »Euer Lehrer hatte recht, damals in eurem Dorf. Hast ein helles Köpfchen, Junge. Aber dein Bruder, der hat sich nicht klar ausgedrückt. ›Alle Macht den Räten‹, hat er gesagt. Gemeint hat er aber bestimmt: ›Alle Macht den Roten‹, Diktatur statt Demokratie.«
    Als der Junge seine Lippen trotzig zusammenpresste, sagte sie: »Bürschchen, bei mir wäre er auch rausgeflogen.«
    Sie dachte eine Weile nach. Schließlich sagte sie: »Aber der Paul Bienmann, der ist anders. Der ist ein besonnener Mann. Wenn der nen Taler für dich zahlt, drei Mark die Woche, dann kannst du von mir aus hier wohnen.«
    So wurde Paul die Entscheidung, was mit dem Bruno Kurpek geschehen sollte, aus der Hand genommen.
    »Wie eine Laus im Pelz«, murmelte er.
    Frau Podolski füllte das Mittagessen aus einem großen Topf auf die Teller. Es gab Sauerkraut und weil es Sonntag war, legte sie jedem ein Stück Rippchen dazu.
    »Viel Knochen, wenig Fleisch«, sagte sie. »Drei Stunden hab ich angestanden dafür. Jämmerliche Zeiten.« Sie zuckte die Schultern.
    Bruno aß, als ob er tagelang nichts mehr zwischen die Zähne bekommen hätte.
    »Junge, Junge«, sagte Frau Podolski, »ich glaube, drei Mark für einen solchen Vielfraß sind entschieden zu wenig.«
    »Es hat geschmeckt wie früher in Liebenberg«, sagte der Junge.
    Frau Podolski schien das zu gefallen. Jedenfalls sang sie leise vor sich hin, als sie später die Teller abwusch und der Junge wie selbstverständlich das Trockentuch nahm.

2
    Frau Podolski machte sich stadtfein, wie sie es ausdrückte. Die vier Kostgänger saßen noch in der Küche rund um den Frühstückstisch.
    »Wir werden uns diesen 19. Januar 1919 merken müssen«, sagte Robert, ein blonder, untersetzter Mann von etwa dreißig Jahren.
    »Aber sicher«, stimmte Frau Podolski zu. »Zum ersten Male dürfen wir Frauen in diesem Jahr zur Wahl gehen.«
    »Ich dachte mehr an das Rosinenweißbrot, das Sie gebacken haben«, versuchte Robert sie zu necken.
    »Es hat herrlich geschmeckt«, schwärmte Bruno. »Seit Jahren habe ich kein Rosinenbrot mehr gegessen.«
    »Rundherum hungern alle, leben von der Hand in den Mund, und Frau Podolski kann Rosinenbrot auf den Tisch stellen«, wunderte sich Eduard.
    Frau Podolski freute sich offenbar über sein Lob. Eduard Pietz war nämlich ein wortkarger Geselle. Er hatte in seinem zweiten Lehrjahr einen Arbeitsunfall gehabt und war gehbehindert, kaum merklich zwar, aber zum Militär hatten sie ihn nicht geholt.
    »Eure Frau Podolski hat für so etwas die richtige Nase«, prahlte die Zimmerwirtin. »Die weiß, wo es langgehen soll.« Sie holte tief Atem und fügte hinzu: »Anders als ihr Radikalinskis. Viel Geschrei und nichts dahinter.«
    »Streichen Sie auf dem Wahlzettel alles durch, Frau Podolski, und schreiben Sie drauf: ›Die neue KPD!‹ Sie werden sehen, wir krempeln den Staat um«, riet Robert ihr. »Die Diktatur des Proletariats …«
    »So weit kommt es noch«, unterbrach Frau Podolski ihn. »Ich bin für eine Republik. Keiner soll mir diktieren. Kein Kaiser und kein Proletariat. Mehrheiten sollen entscheiden.«
    »Lass sie doch, Robert«, sagte Eduard. »Sie wählt, wenn ich das richtig sehe, sowieso das Zentrum.«
    »Nee, Junge. Katholisch bin ich zwar, aber ob die, die da ganz vorn in den Kirchenbänken sitzen, ob die wissen, wie es uns Arbeitern zumute ist? Mein Mann hat schon die Sozis gewählt, als ihr noch eure Windeln voll gemacht habt. Vor Verdun ist er im Juni 1916 gefallen. Ich übernehme seine Stimme.«
    Sie zeigte mit der ausgestreckten Hand auf ein braunes Soldatenfoto an der Wand, an dessen Rahmenecke sie ein schwarzes Bändchen befestigt hatte.
    »Ich denke, ich wähle den Ebert.«
    »Friedrich Ebert hat so eine schöne Frisur und einen treuen Seehundsblick«, lachte Paul Bienmann. »Auf den fliegen die Frauen.«
    »Ebert schafft Ruhe und Ordnung, du Milchbart. Und überhaupt, die Wahl ist schließlich geheim. Was geht es euch an, wohin ich mein Kreuzchen male.« Sie schob davon.
    »Aufgetakelte alte Fregatte«, schimpfte Eduard hinter ihr

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