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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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her.
    »Lasst sie«, lachte Paul. »So altmodisch sie auch ist, die Fregatte schießt aus allen Rohren.«
    Für Eduard schien es kein Spaß zu sein. »So Leute wie die Podolski, die sorgen dafür, dass alles beim Alten bleibt. Die Kommissköppe, die Richter, die Lehrer, die Beamten, alles bleibt wie vor dem Krieg. Nur, wo sonst der Kaiser saß, da setzen sich jetzt andere hin. Meint ihr denn, die Offiziere, die Freikorps, die Herren von und zu, die wollen eine Demokratie? Die würden alle lieber heute als morgen ihren Kaiser wieder auf den Thron setzen.«
    Paul ließ sich nicht weiter auf politische Gespräche mit Eduard ein. Immer zog er den Kürzeren und kam sich vor wie ein Blödkopf. Er verstand einfach nicht, was Eduard eigentlich wollte, wie das werden solle, wenn die Arbeiter- und Soldatenräte allein am Ruder wären. Die einen sagten Hü, die anderen sagten Hott.
    »Ich gehe auch los«, sagte Paul. Er zog seine Jacke über und schlang sich den Wollschal um den Hals. »Vergiss deine Mütze nicht«, sagte er zu dem Jungen. »Es ist kalt heute.«
    Bruno zog die Matrosenkappe seines Bruders aus der Tasche. Sie war ihm zu groß, aber das machte ihm nichts aus.
    Eduard sagte: »Der Wilhelm, das war ein Genosse von echtem Schrot und Korn. Der würde sich im Grab herumdrehen, Bruno, wenn er sehen könnte, dass du mit dem Bienmann herumziehst.«
    »Lass den Wilhelm aus dem Spiel!«, rief Paul. »Der Wilhelm war mein Freund. Und euch, euch ist doch der Junge gleichgültig.«
    »Jaja, geh du nur und wähle, was dir deine Pfaffen sagen! Nur immer schön zahm«, schrie Robert den beiden in den Flur nach und schlug die Küchentür heftig zu.
    »Wenn ich wählen dürfte, ich wüsste schon, welche Partei ich ankreuzen würde«, sagte Paul mehr zu sich selbst als zu dem Jungen.
    »Welche denn?«, fragte Bruno.
    »Geheime Wahl!«, lachte Paul. »Und außerdem werde ich erst am 22. März volljährig.«
    Sie gingen in die Messe. Die Kirche war ziemlich voll. Sie blieben hinten stehen. Von der Predigt war dort kaum ein Wort zu verstehen und der Weihrauchduft, den Paul gern roch, hatte sich fern von Altar und Kanzel längst verflüchtigt.
    »Seit ich mit dem Wilhelm aus Liebenberg weg bin, war ich überhaupt nicht mehr in der Kirche«, sagte Bruno.
    »Hat dir was gefehlt?«, fragte Paul.
    Der Junge schwieg, sagte aber dann doch: »Eigentlich habe ich es erst richtig in der vorigen Woche auf dem Platz gemerkt. Oder auch bei der Schießerei beim Vorwärts-Haus in der Lindenstraße. Ganz plötzlich spürst du es. Du willst vielleicht gar nicht, aber auf einmal betest du.«
    »Merk dir’s«, sagte Paul. »Schade, dass der Sonnenschein heute nicht gepredigt hat. Ich hätte mich bis nach vorn vorgedrängt.«
    »Wer ist das denn?«, fragte der Junge. »Ist das der Bischof?«
    Paul lachte laut auf. »Nee, Bruno, das bestimmt nicht. Aber mir, mir hat er die Arbeit beschafft. Als ich hier in Berlin ziemlich ratlos ankam, da hat die Podolski mich zu ihm geschickt. ›Das ist ein ganz Besonderer‹, hat sie gesagt. ›Der hat ein Herz für Leute, die in Druck sind.‹«
    »Weiter«, drängte Bruno, als Paul verstummte.
    »Nichts weiter. Er hat so eine ulkige Sprache. Soll ein Mann aus dem Rheinland sein. Er hat viermal telefoniert und dann sagte er: ›Kannst dich bei dem Werkmeister Weber bei Borsig vorstellen. Sagst, du kommst vom schwarzen Sonnenschein.‹ Einen Zettel mit einer Adresse hat er mir in die Hand gegeben. Der Weber hat mich angeschaut und gesagt: ›Gut, wenn du vom Sonnenschein kommst, dann will ich’s mit dir versuchen.‹«
    Vor der Kirche boten ein paar Jungen Zeitungen an. Paul zählte sein Geld und kaufte eine.
    »Für ein Bier und eine Brause reicht es noch«, stellte er fest. »Komm, wir gehen da drüben in die Kneipe.«
    In »Olgas Quelle« war ziemlich viel los. Im Saal der Wirtschaft war ein Wahllokal eingerichtet worden.
    Sie drängten sich an einen Tisch in der Nähe der Theke. Paul begann ein Gespräch mit den Leuten. Der Junge blätterte in der Zeitung. Auf einmal boxte er Paul gegen die Rippen, zeigte auf ein Foto und rief: »Das ist er, Paul! Das ist er ganz bestimmt!«
    Paul löste sich nun unwillig aus dem Gespräch. »Sei nicht lästig«, schimpfte er. »Trink deine Brause und bleib still.«
    Der Junge aber starrte auf das Foto und stieß aufgeregt hervor: »Der hat meinen Bruder erschossen«, und deutete mit dem Finger auf ein Foto, auf dem eine Gruppe von Soldaten abgebildet war, die in Reih und Glied

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