Zeiteise in Technicolor
hinaus, Betty. Gehe ruhig über den Rasen und verschwinde links zwischen den Wohnwagen.« Er nahm sie am Arm und schob sie vorwärts.
»Ottar verbarg sich im Dunkel, als eine der Frauen vorbeikam. Sie ging dicht an ihm vorüber, aber sie sah ihn nicht. Ottar wartete, bis alles still war, dann schlich er wieder auf den Wächter zu, näher, immer näher – bis er ihn anspringen konnte!«
Gino mußte die Kamera rasch herumschwenken, als der Wikinger immer noch lautlos vorschnellte und sich auf den Ständer warf. Der Helm rollte zur Seite, und er bog den Stahlstab mit einer einzigen Kraftanstrengung zusammen.
»Schnitt!« rief Barney. »Das war es, Ottar. Genau so hättest du es gemacht. Den Wächter umgebracht und deinen Freund befreit. Sehr gut, ausgezeichnet. Sagt ihm, wie gut euch die Vorführung gefallen hat!«
Die Zuschauer trampelten und pfiffen, und Ottar kam blinzelnd zu sich. Er sah das verbogene Metall an und warf es grinsend zur Seite.
»Eine schöne Saga«, rief er. »So hätte es Ottar gemacht.«
»Ich zeige dir morgen die Aufnahmen«, sagte Barney. »Dann kannst du dich selbst bewundern. Aber jetzt schlafen wir erst einmal; es war ein langer Tag. Tex oder Dallas – könnte einer von euch Ottar heimfahren?«
Die Nachtluft war kalt, und die Zuschauer brachen schnell auf, während die Techniker die Scheinwerfer und Kameras wegfuhren. Barney sah den Schlußlichtern des Jeeps nach, dann merkte er, daß Gino mit einer Zigarette neben ihm stand.
»Was denken Sie?« fragte er.
»Ich denke nicht.« Gino zuckte mit den Schultern. »Was weiß schon ein Kameramann?«
»Jeder Kameramann, den ich bisher traf, wußte tief im Innern, daß er ein besserer Regisseur war als der Idiot, mit dem er zusammenarbeiten mußte. Was denken Sie?«
»Nun – wenn Sie mich schon fragen: Ich würde sagen, daß der Kerl zumindest besser ist als das Paket Corned-beef, das der Krankenwagen wegbrachte. Und wenn die Probeaufnahmen so ausfallen, wie ich es erwarte, dann haben Sie die Entdeckung des Jahrhunderts gemacht. Des elften Jahrhunderts natürlich. Methodisches Schauspielen!«
Barney schnippte seine eigene Zigarette ins Dunkel. »Genau das denke ich auch.«
10
Barney mußte laut reden, damit man ihn über den Regen verstehen konnte, der auf das Wohnwagendach trommelte.
»Sind Sie sicher, daß er wußte, was er unterschrieb?« fragte er und starrte zweifelnd das zittrige X und den Daumenabdruck am unteren Rand des Vertrags an.
»Absolut«, erklärte Jens Lyn. »Ich las ihm das englische Original und die altnordische Übersetzung vor, und er war mit beiden Fassungen einverstanden. Dann hat er vor Zeugen unterzeichnet.«
»Hoffentlich kommt er nie im Leben mit einem guten Rechtsanwalt zusammen. Nach diesem Vertrag verdient unser Hauptdarsteller weniger als der kleinste Kulissenschieber.«
»Es kann gar nichts schiefgehen. Das Gehalt setzte er selbst fest. Eine Flasche Jack Daniels pro Tag und jeden Monat eine Silbermark.«
»Aber das ist kaum genug Silber, um eine Zahnplombe anzufertigen.«
»Sie dürfen nicht die Relativität der Wirtschaftsbegriffe vergessen«, sagte Jens mit erhobenem Zeigefinger. »In dieser Zeit wird hauptsächlich gehandelt und getauscht. Man bezahlt sehr wenig mit Münzen. Die Silbermark hat deshalb einen viel höheren Wert, der kaum mit dem Preis für unser massengefertigtes Silber vergleichbar ist. Vielleicht verstehen Sie mich, wenn ich Ihnen sage, daß man für eine Silbermark einen Sklaven kaufen kann. Für zwei Mark …«
»Schon gut, ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen. Wichtiger ist folgendes: Wird er bis zum Ende des Films durchhalten?«
Jens zuckte mit den Schultern.
»Danke, eine gute Antwort.« Barney rieb sich mit dem Daumen die Stirnfalten und sah auf den bleifarbenen Himmel und den Regenschwall hinaus. »Es gießt nun schon seit zwei Tagen. Hört das denn überhaupt nicht mehr auf?«
»Wir konnten es nicht anders erwarten. Obwohl im elften Jahrhundert das Wetter besser ist als in unserer Zeit, befinden wir uns doch im hohen Norden, und die durchschnittliche Regenmenge …«
»Sparen Sie sich den Vortrag. Ich muß sicher sein, daß Ottar bis zuletzt mitmacht – sonst wage ich es nicht, mit dem Film zu beginnen. Ich habe Angst, daß er in seinem neuen Schiff wegsegelt oder sonst etwas Dummes anstellt. Überhaupt – was macht er hier? Er sieht mir gar nicht nach einem friedlichen Farmer aus.«
»Er lebt im Moment im Exil. Offensichtlich schätzt er die
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