Zeiteise in Technicolor
aufsetzen? Er konnte tun, was er wollte – und er flog auf alle Fälle. Weshalb nicht?
»Komm mit!« sagte er und versuchte den reglosen Wikinger hinter sich herzuziehen.
»Weshalb?« fragte Ottar.
»Um Filme anzusehen.« Ottar blieb unbeeindruckt. »Um mehr Whisky zu holen.«
Das war ein besserer Grund, und sie gingen gemeinsam zum Lager. Barney stützte sich auf den Wikinger, doch der schien es kaum zu merken.
»Sind die Aufnahmen entwickelt?« fragte Barney, als er den Kopf in den Studiowagen steckte.
»Sie kommen eben aus dem Trockner«, erwiderte der Techniker.
»Schön. Stellen Sie die Leinwand auf. Wir wollen sie sehen.«
»Whisky?« fragte Ottar, und Barney sagte: »Sicher, setz dich hier hin, ich hole ihn.«
Es dauerte eine Zeitlang, bis er im Dunkeln den richtigen Wohnwagen gefunden hatte, weil so viele ungewohnte Dinge im Weg lagen. Auch das Schlüsselloch bereitete ihm Schwierigkeiten. Als er mit der Flasche zurückkam, war die Leinwand schon aufgebaut. Man hatte auch ein paar Faltstühle bereitgestellt. Sie machten es sich bequem, stellten die Flasche zwischen sich und beobachteten den Film unter freiem Himmel.
Anfangs hatte Ottar Schwierigkeiten, die Bilder als Einheit zu sehen, doch als sein Auge sich daran gewöhnt hatte, stieß er verwunderte Rufe aus, weil er sein Haus und den Strand erkannte.
Das Abendessen war fast vorbei, und die meisten Leute kamen vorbei und sahen sich die Aufnahmen an. Sie keuchten, als sie das Piratenschiff herankommen sahen, und Ottar knurrte tief in der Kehle. Als das Schiff landete, und der Kampf hin und her wogte, herrschte nur verwundertes Schweigen. Der Blickwinkel war gut, die Bilder kamen scharf und klar, und die Einzelheiten waren beinahe unerträglich. Selbst Barney, der dabeigewesen war, spürte, wie ihm die Haare zu Berge standen, als der angreifende Wikinger immer näher kam.
Mit einem Kriegsruf warf sich Ottar in die Leinwand und rüttelte am Metallrahmen. Es dauerte eine Zeitlang, bis Lyn ihn beruhigt hatte und helfende Hände die zerfetzte Leinwand entfernten. Während das geschah, kamen Scheinwerfer auf das Lager zu, und eine Minute später hielt ein weißer Krankenwagen mit der Aufschrift LOS ANGELES COUNTY HOSPITAL neben dem Freilichtkino.
»Bis man hier jemand findet!« knurrte der Fahrer. »Ihr Filmfritzen seid nicht schlecht ausgerüstet. Hätte nie geglaubt, daß man so eine Landschaft aufbauen könnte!«
»Was wollen Sie?« fragte Barney.
»Anruf. Beinbruch. Der Mann soll Hawk heißen.«
Barney sah die schweigenden Umstehenden an, bis er seine Sekretärin in der Menge entdeckte. »Betty, bringen Sie die Leute zu Ruf, ja? Und baldige Genesung.«
Betty wollte etwas sagen, aber sie fand nicht die richtigen Worte. So wandte sie sich schnell ab und drückte das Taschentuch vor das Gesicht. Sie kletterte in den Ambulanzwagen. Die Stille dehnte sich hin, und die meisten Anwesenden vermieden es, Barney anzusehen. Er lächelte breit vor sich hin und winkte fröhlich.
»Weiter geht es«, befahl er. »Holt eine andere Leinwand.«
Als das letzte Stück Film durchgelaufen war, stellte sich Barney vor die Leinwand und hielt die Hand vor die Augen, weil das Licht des Projektors ihn blendete.
»Gino – sind Sie da? Und Sie auch, Amory?« Die beiden antworteten mit Ja. »Gut, richten wir alles für eine Probe her. Bringt ein paar Stative und Scheinwerfer …«
»Mitten in der Nacht?« fragte jemand aus dem Dunkel.
»Ich weiß selbst, wie spät es ist. Also gut, Überstundenzahlung, aber ich möchte den Test jetzt machen. Wie sich vermutlich inzwischen herumgesprochen hat, fällt Ruf Hawk wegen seines gebrochenen Beins aus. Das heißt, daß wir keinen Hauptdarsteller haben. Allerdings ist das nicht so tragisch, wie es aussieht, da wir bis jetzt noch kaum eine Szene mit ihm gedreht haben und ich einen neuen Hauptdarsteller bekomme. Deshalb unsere Aufnahmeprobe mit Ottar …«
Einige schwiegen schockiert, andere flüsterten, und der Rest lachte.
Gerade das Lachen erwischte Barney am härtesten. Die ganze Last lag auf seinen Schultern, und der Film hing von seinen Entscheidungen ab. Nicht nur der Film – auch seine Zukunft.
Normalerweise bekam er bei solchen Situationen Magenschmerzen und ein nervöses Augenflattern, aber jetzt hatte ihn offenbar ein Hauch des Wikingergeistes gestreift.
»Ottar paßt für die Rolle, das kann keiner abstreiten. Und wenn er einen kleinen Akzent hat – nun, Boyer und Von Stroheim hatten auch einen, und ihr wißt,
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