Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
schmerzen beginnt. Es wird klappen; ich bin mir ganz sicher.
Finn hört auf zu singen, aber ich merke es kaum, so konzentriert bin ich auf meine Aufgabe. »Em, was machst du da?«
»Es wird klappen«, flüstere ich mir zu.
»Was wird klappen?«
Ich prüfe den Löffel erneut, und diesmal passt der Rand perfekt in den Schraubenschlitz. Ich ramme ihn hinein und spüre, wie mein Blut zu rauschen beginnt. Eine dumpfe, leise Stimme in meinem Hinterkopf fragt, warum mir der blöde Abfluss so wichtig ist, aber ich kann sie über dem Pochen in meinem Kopf kaum hören. Ich beginne, den Löffel zu drehen, aber die Schraube rührt sich nicht. Jahre alter Schmutz und Rost und Gott weiß was hält sie fest. Ich drehe stärker und versuche, sie mit Gewalt zu bewegen, bis das Plastik ächzt und zu brechen droht.
»Komm schon, verdammt!«
Ich greife den Löffel ganz unten, so nah an der Schraube, wie es nur eben geht, und drehe. Quietschend beginnt sich die Schraube zu bewegen. Ich lache, und es fühlt sich fremd und wunderbar auf meinen Lippen an. Als die Schraube geknackt ist, nehme ich die nächste und die übernächste in Angriff und helfe mit den Fingernägeln nach, als der Löffel nicht schnell genug ist. Und endlich reiße ich am Gitter, als es nur noch ein Stück an der letzten Schraube hängt. Es geht ab. Plötzlich ist es nur noch ein dünnes Stück Metall, und ich lasse es mit einem Klirren fallen.
»Em, was ist da los?«
Finn klingt jetzt besorgt, aber ich habe keine Zeit, mich davon berühren zu lassen. Endlich ist der Abfluss offen. Ich greife hinein. Der rationale Teil meines Gehirns sagt mir, dass ich nichts außer einem kalten Abflussrohr finden werde, aber tiefer und instinktiver in mir flüstert etwas von … was? Einem Zweck? Einem Schicksal? Von einem der anderen großen Dinge, an die zu glauben ich vor Jahren aufgehört habe?
Das Flüstern ist nicht überrascht, als sich meine Finger um einen Gegenstand schließen, der im Abfluss versteckt ist. Mein Körper spannt sich an, als mich wilde Freude durchfährt, als wüssten meine Muskeln, dass sie die Explosion in meinem Inneren im Zaum halten müssen. Ich ziehe den Gegenstand heraus, ins Licht, und starre ihn an.
Es ist ein Gefrierbeutel, alt und gesprenkelt mit Wasserflecken und Schimmel. Solch ein banaler Gegenstand – er beschwört Erinnerungen an die Erdnussbutterbrote herauf, die ich früher in meinem Sportbeutel zu entdecken pflegte – erscheint mir ganz und gar fehl am Platz in meiner Gefängniszelle. Darin befindet sich ein einziges Stück Papier, weiß mit blauen Linien, wie ich es aus der Schule kenne, mit gezacktem Rand, der erkennen lässt, dass es aus einem Notizheft gerissen wurde.
Ich öffne den Beutel mit zitternden Fingern. Plötzlich habe ich Angst. Ich wusste, dass irgendetwas an dem Abfluss wichtig war, von dem Augenblick an, in dem ich ihn sah. Das ist nicht normal. Das kann nicht gut sein.
Ich hole den Zettel heraus und werfe den ersten Blick darauf. Der Raum wird zum Vakuum um mich herum. Ich versuche zu atmen und merke, dass ich es nicht kann, als ob keine Luft mehr da wäre.
Das Papier ist fast vollständig bekritzelt. Einige Zeilen sind mit Tinte geschrieben, andere mit Bleistift, die Zeilen oben sind mit der Zeit so verblasst, dass man sie kaum lesen kann, die unten wirken hingegen ganz frisch. Jeder Satz bis auf den allerletzten ist mit einer dünnen Linie ordentlich durchgestrichen.
Oben auf dem Zettel steht ein Name in vertrauten Großbuchstaben, und die Zeile ganz unten ist dick und dunkel; die Worte haben sich ins Papier eingegraben, als ob die Person, die sie geschrieben hat, den Stift tief hineingedrückt hätte.
Diese Person war ich.
Ich habe dieses Stück Papier noch nie in meinem Leben gesehen, doch es ist definitiv meine Schrift: mein Schreibschrift-»e«, während alle anderen Buchstaben in Druckschrift geschrieben sind, mein schiefes »k« und das schmale »a«. Ein Teil von mir erkennt es instinktiv, als würde ein Telefon in einem anderen Zimmer läuten.
Ich beginne zu zittern. An diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt bedeutet ein Brief, den ich geschrieben habe und an den ich mich trotzdem nicht erinnere, etwas ganz Bestimmtes.
Doch es ist die letzte Zeile, die mich panisch zur Toilette in der Ecke stürzen lässt.
Du musst ihn töten.
Z WEI
Em
Ich würge, bis mein Magen sich damit abfindet, dass nichts mehr da ist, was er von sich geben könnte. Dann lehne ich die Stirn an die kühle Wand und wische
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