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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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auch zu dir, und sie setzt dir eine präzise Frist.
    Pati fühlte sich wie einer jener Männer, die in den antiken Kulturen lebendig in Brücken eingemauert wurden, zusammen mit Tieren, um die Götter gnädig zu stimmen. Gibt es so grausame Götter? Vielleicht ja, wenn es solche Bräuche gab und immer gegeben hat. Vielleicht ja, wenn es den Asbesttod gibt, der dich zwingt, schnell zu entscheiden, was du von dir zurücklassen willst, zu bestimmen, wie die exakte Partitur der letzten Jahre deines Lebens und des Lebens aller Menschen, mit denen du aufgewachsen bist, aussehen soll. Außerdem ist die Pest Einsamkeit, das Ausweichen derjenigen, die dich auf ihrem Weg erblicken, Distanz wahren, die Quarantäne eines Lazaretts.
    Durst, Husten, Juckreiz, Halsschmerzen, Blut im Mund wie ein Schwindsüchtiger, die ganze Nacht lang hatte es heftige Windstöße gegeben. Die Rollläden hatten geklappert, die Spalten gepfiffen, die starken Böen des Schirokkos hatten laut auf das Wellblech getrommelt, das als Dach über der kleinen Veranda lag. Der Tagesanbruch war ruhig, die Luft klebrig, das Meer aufgewühlt und schlammfarben, ein fruchtbarer Schlamm, der die Kornfelder nährt und die Albträume der ganzen, zwischen Wachen und Grauen verbrachten Nacht mit sich reißt.
    Die Nachricht hatte auch ihn erreicht, die Frauen auf dem Dach der Fabrik hatten den Dorfklatsch besetzt, waren auf die Tageszeitung der Region übergegangen und hatten schließlich sogar einen Bericht in den Fernsehnachrichten erobert.
    Vom Herbstwind geschüttelt, wechselten die mutigen Frauen einander ab, eine aber, eine einzige, die Älteste von allen, ließ sich nicht auswechseln. Den Unbilden des Herbstes im Salento trotzend, blieb sie an ihre innersten Überzeugungen geklammert.
    Auch sie trug eine besondere Pest im Leib, unübertragbar wie die Asbestose, doch ebenso tragisch, denn sie würde die Frau in ihre Einsamkeit führen. Die Pestkranke war das ewige junge Mädchen, es war Mimi.

Ippazio zögerte einige Zeit, bis er sich entschloss, aber dann fand er das, was er suchte, und belud das Auto, die Sachen versteckte er unter einer sackleinenen Decke. Lange hatte er über das nachgedacht, was er jetzt tun würde, und es war nicht mehr aufschiebbar. Er fuhr über Nebenstraßen voller Windungen und mit vielen Schlaglöchern, über die ungepflasterten Triften, die Weinberge, schließlich bog er wieder in die Schnellstraße ein. Er nahm sich Zeit, damit versuchte er, auch noch den letzten Zweifel zu begraben. Die Frau, die er in der Schweiz zurückgelassen hatte, seine nie gewollte Familie, seine Spur aus Zaudern und Ängsten.
    Am Ortsschild von Lucugnano bemerkte er, wie gespenstisch das Dorf in den Wintermonaten war. Das Kastell auf der Piazza war in einen milchigen Dunst gehüllt, die Birnbäume kahl, und von den weißen Häusern stiegen graue Rauchstreifen auf, das einzige Haus, dessen Schornstein nicht rauchte, war das Haus der Orlando. Der kupferne Hahn auf dem Dach blickte nach Süden, auf der Schwelle der Eingangstür standen zwei in bunte Schals gewickelte Gestalten, eine hielt einen Schirm in der Hand, der überflüssig sein würde. Seit dem Frühsommer hatte es nicht mehr geregnet, und wenn der Schirokko nicht aufhörte, würde niemals Wasser herunterkommen. Ein Regen, der seit Monaten beschworen, für den inbrünstig gebetet wurde. Einige Priester hatten eigens Messen gegen die Trockenheit gefeiert. In der Kirche der Kapuziner in Tricase waren Fackeln zu Ehren des heiligen Domenico angezündet worden. Jeder Ort hatte sich um seinen Schutzheiligen versammelt: Biagio, Vito, Ippazio, Nicola, Rocco und Domenica; außerdem war die Statue der Madonna der Assunta in einer vom Bischof angeführten Prozession unter Bittgebeten und Anrufungen der Muttergottes aus der Stadt bis in die Serra getragen worden.
    Vor der Eingangstür des Orlando-Hauses standen Arianna und Biagio, diskutierten lebhaft. Seit Mimis Umzug auf ein Dach war Arianna zur Hüterin des Bruders ihrer Mutter geworden. Von dem Ingenieur hatte sie sich getrennt, seither unterhielt sie eine kleine, aber bunte Schar Verehrer. Daher vermutete sie, dass das Auto mit dem Schemen eines Unbekannten am Steuer, das langsam vorbeifuhr, einem von ihnen gehörte. Sie konnte nicht wissen, dass Pati, ihr Vater, darin saß.
    Er hatte erwartet, dass er ohnmächtig werden würde, wenn er seine Tochter wiedersah, Jahre nach dem zufälligen Treffen in Gagliano und dem leidvollen, feigen Wiedersehen an der

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