Zerfetzte Flaggen
nahm statt Stockdale Couzens mit. In einem Kampf oder Sturm auf See war Stockdale unschlagbar, aber behutsames Schleichen durch unbekanntes Gelände war nicht seine Stärke.
Couzens sprudelte vor Aufregung. Bolitho hatte dergleichen noch nie erlebt. Den Jungen schien all das Schreckliche, das er sah und hörte, nicht im geringsten zu beeindrucken, er schüttelte es mit der Elastizität der Jugend ab.
Major Paget trank aus einer silbernen Feldflasche und reichte sie dann herum. Bolitho stockte der Atem, als der starke Brandy über seine Zunge floß. Couzens dagegen leckte sich die Lippen. »Danke, Sir, das schmeckte himmlisch!«
Paget blickte Bolitho an und rief aus: »„Himmlisch!“ In Dreiteufelsnamen, was für eine Marine ist das?«
Sie drangen in südwestlicher Richtung vor, die Ordonnanz folgte ihnen in respektvoller Entfernung. Das Meer lag zu ihrer Linken, zwar außer Sichtweite, aber doch in tröstlicher Nähe.
Dicht vor ihnen spürte Bolitho einige von d’Esterres Kundschaftern, die geräuschlos wie Waldtiere durch das Gestrüpp zogen und ihren Kommandeur vor einem Überraschungsangriff schützten.
Schweigend gingen sie weiter, über sich den langsam heller we rdenden Himmel und die verblassenden Sterne, während die Umgebung allmählich Formen annahm.
Plötzlich erhob sich lautlos eine dunkle Gestalt aus dem Schatten, und Paget sagte: »Aha, der kanadische Gentleman!«
Der Späher winkte lässig mit der Hand. »Dies ist nahe genug, Major, den Rest des Weges müssen Sie auf dem Bauch zurücklegen.
«
Paget schnippte mit den Fingern, und die Ordonnanz zog etwas hervor, das aussah wie ein kurzes grünes Cape. Paget nahm Hut und Säbel ab und stülpte sich das Gebilde über den Kopf: bis zum Gürtel war seine Uniform nun vollkommen verborgen. Bolitho sah, daß der Späher und auch Couzens offenen Mundes hinstarrten, die Ordonnanz jedoch verzog keine Miene.
»Hab’ das Ding letztes Jahr machen lassen«, erklärte Paget.
»Keine Lust, mir von irgendeinem Hinterwäldler ein Loch in den Kopf schießen zu lassen.«
Bolitho grinste. »Gute Idee, Sir. Dergleichen habe ich auch schon bei Wilderern gesehen.«
Der Major ließ sich vorsichtig auf Hände und Knie nieder, und sie robbten eine gute halbe Stunde, bis sie einen geeigneten Aussichtspunkt entdeckt hatten. Jetzt war es schon bedeutend heller, und als Bolitho sich ein wenig aufrichtete, sah er die See; der Horizont wirkte wie ein dünner Goldfaden. Er robbte weiter, die scharfen Grasspitzen zerstachen ihm Gesicht und Hände, der Boden wimmelte von Insekten. Die Sonne stand noch unter dem Horizont, daher lag die Lagune in tiefer Dunkelheit, aber das Fort hob sich gegen die hellere See mit ihren leuchtenden Schaumkronen jetzt deutlich ab: ein schwarzer, formloser Schemen am Ende der flachen Insel. Bolitho sah zwei Laternen und etwas wie ein abgeschirmtes Feuer außerhalb der Mauern, sonst nichts.
Schwer atmend richtete Paget sein Fernrohr durch Gras und Gestrüpp auf das Fort. Er schien laut zu denken. »Muß vorsichtig sein bei diesem Winkel. Wenn die Sonne aufgeht, wird sie von dem verdammten Glas reflektiert.«
Couzens zischte Bolitho zu: »Können Sie die Kanonen sehen, Sir?«
Dieser schüttelte den Kopf und stellte sich vor, wie die Marine Infanteristen über den angeblich vorhandenen Damm in einen Kartätschenhagel hineinstürmten. »Noch nicht.« Er blickte angestrengt hinüber. »Das Fort ist nicht quadratisch oder rechteckig, es hat sechs oder gar sieben Seiten. Also vielleicht ein Geschütz pro Seite.
«
Der Späher kroch näher. »Sie sollen ein Pontonfloß haben, Major.
« Er hob den Arm, worauf sich ein saurer Geruch verbreitete.
»Wenn sie Lieferungen von der Landseite her bekommen, packen sie Pferde und Wagen auf den Ponton und ziehen das Ding hinüber.
«
Paget nickte. »Wie ich’s mir dachte. So werden auch wir morgen früh um diese Zeit übersetzen, wenn die Burschen noch schlafen.«
Der Späher sog an seinen Zähnen. »Nachts wäre es besser.«
Paget erwiderte verächtlich: »Die Dunkelheit ist für alle gleich hinderlich, Mann! Nein, heute beobachten wir sie, morgen früh greifen wir an.«
»Wie Sie wollen, Major.«
Paget wälzte sich schwerfällig zur Seite und blickte Bolitho an.
»Sie übernehmen die erste Wache. Schicken Sie den Jungen zu mir, wenn Sie was Besonderes sehen.« Damit verschwand er erstaunlich lautlos im Gestrüpp.
Couzens lächelte etwas gezwungen. »Sind wir allein, Sir?« Zum ersten Mal klang
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