Zero Day
helleren Lichtverhältnissen einwandfreies Sehen. »Ein ganzes Bündel«, gab Puller Auskunft. »Es hat die Zähluhr verdeckt. Soll ich es wagen, ein paar Drähte durchzuschneiden? Vielleicht stoppe ich dann die Zähluhr.«
»Nein. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass du damit in eine Falle tappst. Wenn du zwanzig Drähte siehst, haben nur drei eine Funktion. Diesen Trick wendet man beim Legen herkömmlicher Bomben häufig an, und wir müssen annehmen, dass diese Regel auch für die Erbauer von Atomsprengsätzen gilt. Falls du einen der funktionslosen Drähte kappst, kann es sein, dass der Zähler auf null springt und du den Löffel abgibst.«
»Gut, ich kappe also keine Drähte«, antwortete Puller mit Entschiedenheit. Der Schutzanzug verschlimmerte die unter dem Sarkophag ohnehin stickige Hitze. Immer wieder beschlug die Sichtscheibe, und er wischte sie öfters mit der Stirn klar – eine Abhilfe, die sich kaum bewährte, denn seine Stirn war die Hauptursache der Verdunstung. Schließlich setzte er die Schutz haube ab, rieb sich mit den Händen die Augen und streifte die Nachtsichtbrille über den entblößten Kopf.
»Der Kern muss sich am genauen Mittelpunkt der Kugel befinden«, sagte Robert. »Die Explosion der Initiatorladung schießt Neutronen aus der Neutronenquelle in den Kern. Wie ich dir schon sagte, wurde die am Tatort gefundene Goldfolie wahrscheinlich in der Neutronenquelle als Trennschicht zwischen Beryllium und Polonium verwendet. Das Plutonium ist kugelförmig um den Kern verteilt. Die neutronenreflektierende Hülle umgibt das Plutonium, verstärkt die Druckwelle der Sekundärzünder-Sprengstoffschicht, die in den Kern eindringt, und verhindert, dass er zu schnell zerfällt. So wird die atomare Sprengkraft maximiert.«
»Schon gut, Bobby, ich brauche jetzt keine Einweisung in jede Kleinigkeit.«
»Ich möchte mir nur sicher sein, dass ich noch weiß, wovon ich spreche.«
»Du darfst dein Wissen nicht infrage stellen. Du kennst dich in diesen Dingen aus. Schließlich bist du ein Genie. Bist du immer gewesen.«
»Also schön. Die aus Keilen zusammengefügte Sprengstoffschicht befindet sich unter dem Neutronenreflektor. Du kannst sie also nicht sehen, oder?«
»Nein. Und was bedeutet das für mich?«
Puller hörte seinen Bruder leise aufstöhnen. »Wenn die Kettenreaktion unter dem Neutronenreflektor lange genug in komprimiertem Zustand abläuft, steigt die atomare Sprengkraft in exponentiellem Umfang an.«
Puller blickte auf den Zähler. Er stand auf neunundfünzig Minuten und siebenundzwanzig Sekunden. »Wie entschärfe ich die Bombe, Bobby?«
»Du kannst sie nicht entschärfen, John.«
»Und was soll ich machen, zum Henker?« Puller brüllte so laut, dass Cole zurückfuhr und beinahe die Stablampe fallen ließ.
»Es gibt nur eine Möglichkeit, eine Katastrophe abzuwenden«, erklärte Robert ruhig. »Wir müssen die Explosion des konventionellen Sprengstoffs sabotieren. Zwar sind die Sprengstoffkeile nahtlos zusammengefügt, aber wenn wir es schaffen, dass sie nicht gleichzeitig explodieren, können wir eine Verpuffung verursachen.«
»Und wie kann ich das erreichen?«
»Indem wir die Zündung beeinflussen.«
Puller schaute Cole voller Bestürzung an. »Das heißt, wir müssen die Bombe selber zünden, um sie unschädlich zu machen? Willst du mir das damit sagen?«
»Ja, darauf läuft es hinaus«, bestätigte Robert.
»Scheiße«, fluchte Puller. »Ist das wirklich die einzige Möglichkeit?«
»Gäbe es eine Alternative, würde ich sie dir sagen.«
»Wie wäre es, ich schlage das Innere der Bombe einfach kaputt?«
»Dann würdest du sehr wahrscheinlich sterben, und über West Virginia würde eine Pilzwolke zum Himmel steigen.«
»Ich hätte lieber Alarm geben sollen. Dann wären die Experten gekommen, hätten den Kasten ausgeflogen und ins Meer geworfen.«
»In einer Stunde wäre es ihnen unmöglich gewesen. Außerdem ist man nachher immer klüger.«
»Vielleicht wären sie eingetroffen, bevor der Zeitzünder ansprang. Oder hätten sie seine Aktivierung verhindern können.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«
»Falls die Bombe explodiert, ist es meine Schuld, Bobby.«
»Zweierlei, John. Erstens, falls sie explodiert, bist du nicht mehr da und hast keine Gelegenheit, dich mit Selbstvorwürfen zu quälen. Zweitens, die Person oder die Personen, die sie gebaut haben, sind die Verantwortlichen, nicht du. Also, wie viel Zeit bleibt noch?«
»Siebenundfünfzigeinhalb Minuten
Weitere Kostenlose Bücher