Zerrissenes Herz (German Edition)
überprüfte das Datum in ihrem Kalender.
Ja, sie hatte an dem Tag frei. Wendela’s Wedding Wonders beschäftigte mehrere Fotografen und Videografen, und Daisy war an dem Wochenende nicht eingeplant. Sie könnte Logan bitten,auf Charlie aufzupassen, und nach Ithaca fahren, um mit ihrer Kamera Julians vielversprechenden Augenblick festzuhalten.
Sie wollte hingehen. Sie musste hingehen. Es musste ihr gelingen, etwas Zeit allein mit Julian zu finden. Nach all den Jahren, in denen sie sich nach ihm gesehnt hatte, nach all den Jahren, in denen sie aufeinander zugestolpert waren, nur um immer wieder von den Umständen auseinandergerissen zu werden, sah sie ihre Chance endlich gekommen.
Ein für alle Mal würde sie tun, was sie schon vor langer Zeit hätte tun sollen.
Es war an der Zeit, ehrlich zu Julian zu sein – und zu sich selbst. Sie durfte nichts zurückhalten. Nach all dieser Zeit würde sie ihm endlich sagen, was sie wirklich für ihn empfand. Seiner kryptischen Nachricht auf der Rückseite der Einladung nach zu urteilen, schienen seine Gedanken in die gleiche Richtung zu gehen.
3. KAPITEL
J ulian Gastineaux fiel mit zweihundertvierzig Kilometern pro Stunde durch die Luft und genoss das Gefühl, dass der Wind bis in sein innerstes Wesen zu dringen schien. Er riss an jeder Naht des Fallschirmanzugs, füllte Nase und Mund, verzerrte ihm das Gesicht zu einer albtraumhaften Maske. Julian fühlte sich von einer Kraft getragen, die stärker war als jeder Mensch, und das war für ihn der ultimative Kick.
Es fühlte sich ein wenig an, wie verliebt zu sein.
Doch anders als bei der Liebe handelte es sich hierbei um eine optionale Trainingseinheit. Und Julian war der Meinung, wenn sich einem Mann die Gelegenheit bot, aus einem Flugzeug zu springen, dann musste er es tun. Die praktische Ausbildung hatte er zwar hinter sich, doch zu einem Fallschirmsprung würde er nie Nein sagen. Er mochte zwar ein wenig verrückt sein, aber er war nicht so dumm, eine solche Gelegenheit auszuschlagen. Dafür liebte er das Gefühl der Schwerelosigkeit und das Gefühl, nur vom Himmel umgeben zu sein, viel zu sehr. Er sah die Landschaft des Staates New York, die wie eine Patchworkdecke unter ihm lag – Hügel, von Bächen gespeiste Farmen, eine spektakuläre Reihe von lang gezogenen Seen, wie von Riesenhand in die Landschaft gegraben.
Da vibrierte der Höhenmesser und zeigte an, dass es an der Zeit war, sich von dem Anblick loszureißen. Julian löste den Hauptschirm, der sich in dem Luftstrom öffnen sollte.
Doch genau in dem Moment, als der Hauptschirm aus dem Rucksack gezogen werden sollte, wurde Julian von einem Scherwind erfasst und verlor die Kontrolle.
Und mit einem Mal wurde das, was als zusätzliches Training begonnen hatte, zu einem Albtraum. Er wurde von seinem Ziel weggetragen – viel zu weit, viel zu schnell, er war allein der Gnade der Luftströmung ausgeliefert. Durch zusammengebissene Zähne fluchend, gelang es ihm, den Ersatzschirm herauszuziehen. Die Leinen sollten sich eine nach der anderen entfalten,doch sie waren einfach nur ein heilloses Durcheinander. Der Hauptschirm hatte sich nicht ganz geöffnet und war vollkommen außer Kontrolle. Julian arbeitete mit den Steuerleinen, um langsamer zu werden, während er auf ein dicht mit Bäumen bestandenes Waldstück zuraste.
Er setzte das Notsignal, stieß noch ein paar Flüche aus und sprach ein Gebet.
Das Gebet wurde erhört – zumindest ein wenig. Julian war nicht mit zweihundertvierzig Sachen auf der Erde aufgeschlagen, war nicht in einen Klumpen aus Fleisch und Blut verwandelt worden. Stattdessen war es ihm gelungen, ein kleines bisschen zu navigieren und langsamer zu werden. Die Landung war jedoch nicht ganz das, was er sich vorgestellt hatte.
Kopfüber in seinem Fallschirmgeschirr hängend, konnte Julian die Welt von einem ganz besonderen Aussichtspunkt betrachten. Die biegsamen, mit jungem Blattwerk bedeckten Äste wippten unter seinem Gewicht. Er sah nichts außer Grün und Braun, kein Anzeichen von Zivilisation.
Verdammt. Das hier war die letzte Übung seiner Ausbildung, und die hätte gut verlaufen sollen.
Er zwang sich, bedacht vorzugehen und zu überlegen, was er nun tun könnte. Blut tropfte ihm übers Gesicht. Er hatte an vielen Stellen seines Körpers Schmerzen, aber es fühlte sich nicht so an, als ob etwas gebrochen wäre. Nur seine Schulter schien in Flammen zu stehen. Vielleicht war sie ausgekugelt. Seine Brille war komplett zerstört. Schon
Weitere Kostenlose Bücher