Zerrissenes Herz (German Edition)
Armee deshalb so wohl. Die Menschen, mit denen er hier trainierte und arbeitete, waren für ihn wie eine Familie.
Wie so oft wanderten seine Gedanken zu Daisy. Sie stammte aus einer großen und weitverzweigten Familie, was zu den Eigenschaften gehörte, die er an ihr so liebte. Allerdings war das auch ein Grund, warum er solche Schwierigkeiten hatte, sich eine gemeinsame Zukunft mit ihr vorzustellen. Daisy müsste sich im Zweifel von allen anderen verabschieden – das war ganz schön viel verlangt.
Als er die Post durchging, fiel ihm ein kleiner Umschlag in die Hände. Nachdem Julian ihn aufgerissen hatte, grinste er breit.
Alles fiel von ihm ab. Die Sorgen wegen der Zeremonie, die Schulterschmerzen, die Tatsache, dass er morgen eine Präsentation halten musste. Alles.
Er starrte auf die schlichte Antwortkarte. „Daisy Bellamy wird _ / wird nicht _ an der Feier teilnehmen.“ An den unteren Rand hatte sie geschrieben: „Das würde ich mir um nichts in der Welt entgehen lassen! Ich bring meine Kamera mit. Bis bald. xo.“
Bester Laune ging Julian in sein Zimmer. Davenport, einer seiner Mitbewohner, warf nur einen Blick auf sein Gesicht und fragte: „Hey, bist du endlich flachgelegt worden, Sturkopf?“
Julian lachte nur und nahm sich eine Flasche Gatorade aus dem Kühlschrank.
„Dann musst du deine Präsentation fertighaben“, riet Davenport weiter.
„Hab noch nicht mal richtig damit angefangen.“
„Was für ein Thema hast du noch mal?“
„Was man in der Schlacht überleben kann.“
„Was bedeutet, dass es eine sehr kurze Präsentation wird, oder? Kein Wunder, dass du dir keine Sorgen machst.“
„Du wärst überrascht, was für Katastrophen der Mensch überleben kann“, entgegnete Julian.
„Na gut, überrasch mich!“ Davenport wandte sich von seinem Computer ab und wartete.
„Einen Unfall beim Fallschirmsprung, wenn man keine weiche Stelle zum Landen findet“, fing Julian an und dehnte die schmerzende Schulter.
„Ha, ha. Das ist ja Kinderkram. Wie steht es mit einer raketenbetriebenen Granate?“
„Einen Granatenangriff kann man auch überleben.“
„Aber nicht der Kerl, der sich auf seine Kumpels wirft, um sie zu beschützen.“
„Idealerweise wirfst du das Ding dahin zurück, woher es gekommen ist.“
„Gut zu wissen“, sagte Davenport.
Julian machte sich keine Gedanken über das Thema. Der schwere Teil des Lebens hatte nichts mit körperlichen Anstrengungen und akademischen Zielen zu tun. Die Abschlussprüfung würde er problemlos schaffen. Er konnte Marathon laufen, eine Meile schwimmen, einhändige Liegestütze. Nichts davon war wirklich schwierig.
Ihn forderten Sachen heraus, die anderen Menschen leichtfielen. Zum Beispiel die Entschlüsselung des größten Mysteriums der Welt – herauszufinden, wie die Liebe funktionierte.
Doch das würde sich ändern.
Es gab zwar kein Lehrbuch und keinen Kurs, den er besuchen könnte, um das zu lernen. Vielleicht war es aber ein wenig, wie in einem Scherwind gefangen zu sein. Man musste versuchen, so gut es ging zu steuern, und hoffen, dass man in einem Stück landete. Eigentlich hatte er auf diese Art bisher sein Leben gemeistert.
Februar 2007
Julian starrte auf das Schreiben des United States Secretary of the Air Force. Er traute seinen Augen nicht. Drei verschiedene ROTC-Abteilungen hatten ihn angenommen, und jetzt hielt er die Bestätigung fürs Stipendium in Händen. Er stand mitten auf einem unscheinbaren Parkplatz, drückte sich das formell formulierte Schreiben an die Brust und schaute in den farblosen Himmel über Chino, Kalifornien. Er würde aufs College gehen. Und er würde fliegen.
Auch wenn er darauf brannte, die Neuigkeiten mit jemandem zu teilen, fand er niemanden, der ihm zuhören wollte. Er versuchte, es seinem Nachbarn Rojelio in schnellem Straßenspanisch zu erklären, aber Rojelio musste zur Arbeit; er war schon spät dran und konnte nicht länger mit Julian herumhängen. Danach lief Julian den ganzen Weg zur Bücherei an der Central Avenue, wobei er den Bürgersteig unter seinen Füßen kaum spürte. Er hatte keinen Computer zu Hause, und er musste eine Antwort sofort abschicken.
Der Autor John Steinbeck nennt den kalifornischen Winter die trostlose Jahreszeit. Julian verstand genau, warum. Überall herrschte totale Flaute. Chino, eine direkt am Highway gelegene Stadt östlich von L.A., wurde vom Smog aus dem Westen und der Inversionswetterlage der Berge aus dem Osten eingekesselt, was dazu führte,
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