Zieh dich aus, du alte Hippe
Bus, wie er gerade in den Stadtteil hineinfährt. Er hat einen Plat ten. Sein Hinterteil hüpft bei jeder Umdrehung des Rades hoch und runter. Amüsiert steckt Kommissar Schneider sein Fernglas weg und atmet tief durch. Dieser herrliche Wald duft. Er schmeckt ihn mit der Zunge. Ein Reh zeigt sich auf der Lichtung. Es hat Punkte, es ist ein Kitz. Da muß die Mutter nicht weit entfernt sein. Die Tiere im Wald ahnen nichts von der Schlechtheit von Menschen. Es sei denn, es sind Tiere, die man zum Essen hält. Diese Tiere wissen genau Bescheid, was der Mensch mit ihnen macht. Über solche Dinge denkt der Kommissar nie nach. Nur, wenn er ein Reh sieht. Das Reh äst das frische Gras. Es sieht niedlich aus. Hier ist es si cher. Die Mutter kann es ruhig allein sein Essen suchen las sen in der lauen Winterluft, es ist heute außerordentlich warm für diese Jahreszeit. Tautropfen baumeln am Ärmel des Popelin-Mantels, der Kommissar hat Wollhandschuhe an. Ein Gewehrschuß bellt aus dem Dickicht, zeitgleich fällt das Reh wie eine Marionette, deren Kordeln zerschnitten wur den, in sich zusammen. Noch einma zuckt der Hals und macht ein umgekehrtes U. Der Kommissar springt hinter einen hochstehenden Wacholderzweig. Mit müden Augen kommt der Schütze aus dem Gebälk! Es ist, der Kommissar traut seinen Augen kaum, der Bürgermeister! Er entschließt sich, hinzugehen und ihn zu fragen, wie er hierhin kommt. Es stellt sich heraus, daß der Bürgermeister gegen Kaution frei gekommen ist, sein Rechtsanwalt war dagewesen. »Ach so«, sagt dann der Kommissar. Der Bürgermeister hat einen Waffenschein vorzuweisen, ihm gehört d as Jagdrevier hier auf dem Berg. Ganz klar, daß er davon Gebrauch macht. Er nimmt das Reh mit nach Hause. Vor seinem Kamin ist ein schönes Plätzchen für einen Fußabtreter, für wenn man bar fuß aus der Badewanne kommt. Dann hat man es da schön warm. Und die Punkte sehen gut aus. »Kommen Sie mich mal wieder besuchen!« Der Bürgermeister guckt den Kommissar mit schlechtem Gewissen an. Der Kommissar, der sauer ist wegen der Freilassung und weil er sich lächerlich gemacht hat, will da aber nicht mehr hin. Am lieb sten würde er als jemand anders noch mal sein Leben von vorne anfangen. Nur nicht als Polizist. Obwohl ... er macht seine Arbeit gerne, fällt ihm wieder ein. Vor allen Dingen kontrolliert er sehr gerne in der Straßenbahn oder im Bus. Genau das macht der Ko mmissar gleich, als er ins Büro fährt. Er ist ganz der alte, als er seinen Kontrolleurausweis zückt und forsch die Fahrgäste nötigt, ihre Karten zu zeigen. Ein zehnjähriger Junge wollte wohl nicht bezahlen, aus ihm macht der Kommissar ein Häufchen Elend. Dieser Kerl fährt nie mehr mit öf fentlichen Verkehrsmitteln. Kommissar Schneider stinkt jetzt, weil er sich seit Tagen nicht wäscht. Er hat keine Zeit, er hat Wichtigeres zu tun.
Die Kollegen rümpfen die Nase, als Kommissar Schneider das Präsidium betritt. Er stößt die Putzfrau angeekelt zur Seite. Sie hat das Geländer der Haupttreppe mit Essig ein gerieben, wegen der Hygiene. Die Frau kommt ihm bekannt vor. Er dreht sich noch einmal um. Er beobachtet die Putz frau, wie sie sich daranmacht, mit einem rie sigen Lappen zwischen den einzelnen Stangen des Treppengeländers herumzufuhrwerken. Aber was ist das? Sie putzt gar nicht richtig, sie tut nur so, als ob! Sie kann gar nicht putzen! Der Kommissar schüttelt den Kopf. »Das geht doch nicht!« mur melt er zu sich selbst. Da kann ja jeder kommen. Wahr scheinlich ist die Frau nur da, um ein Autogramm von ihm zu ergattern. Aber er wird sich stur stellen. Das mit den ewigen Autogrammen geht ihm sowieso auf den Wecker. Er hat wahrhaft genug Arbeit. Der Fall »Zieh dich aus, du alte Hippe«. Langsam hat er keine Lust mehr. Wenn er den Täter nicht bald stellt, kann er nicht zu seiner eigenen Silberhochzeit kommen. Der Gedanke sagt ihm zu. Er schaut auf die Uhr. O Schreck, es hat ja schon angefangen. Jetzt muß er aber doch hin. Er läßt sich von einem Wachtmeister zu sich nach Hause bringen, sein Wagen ist immer noch in der Werkstatt.
»... Stoße ich auf alle an, die ich kenne! Prost!« Die Hoch zeitsfeier ist in vollem Gange. Kommissar Schneider quetscht sich durch das Gartentor. »Hallo, da kommt ja das Hochzeitskind!« Alle Blicke sind auf ihn gerichtet. Als er näher kommt, be merken sie seinen unangenehmen Geruch, eine Mischung aus Ungewaschenheit, Kotze, Blut, Alkohol, Tabak und faulen Eiern. Doch sie lassen sich nichts
Weitere Kostenlose Bücher