Zigeuner
europäischen Land wurden diese beiden Kausalitäten bestritten, nicht einmal von den Zigeunerführern selbst. Außer in Deutschland.
2011 erschien eine Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher Sinti und Roma, die sich als »Dokumentation und Forschungsbericht« verstand und Erstaunliches zutage förderte. Bei der Befragung von 275 von über 100 000 in der Bundesrepublik lebenden Sinti und Roma kam heraus, dass 11,5 Prozent eine Realschule besucht hatten, während in der Mehrheitsbevölkerung mehr als 30 Prozent der 14- bis 25-Jährigen über einen mittleren Bildungsabschluss verfügten. Sechs der Befragten waren Gymnasiasten. Hochgerechnet 2,3 Prozent. Bei den 20- bis 25-jährigen Nichtzigeunern hingegen besaßen über 40 Prozent die Hochschulreife. Während rund 85 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung eine Berufsausbildung absolviert hatten, waren die Zahlenverhältnisse bei den Sinti und Roma umgekehrt. Lediglich 15 Prozent verfügten über eine abgeschlossene Ausbildung.
Glaubt man der Studie, so gründet der miserable Bildungsstatus im »gravierenden Versagen des deutschen Bildungssystems«. Und im deutschen Faschismus. In Traumatisierungserfahrungen, die in den Familien von Generation zu Generation weitergegeben werden und selbst noch in der dritten Generation der heute 14- bis 25-Jährigen erkennbar sind. »Evident sind die intergenerationellen Auswirkungen der Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma, auch und vor allem im Zusammenhang mit der Vernichtungspolitik im Nationalsozialismus. So werden starke Ängste und Misstrauen innerhalb der Familie im Zusammenhang mit dem Schulbesuch der Befragten oder ihrer Eltern und Großeltern thematisiert.« Zudem hatten vier von fünf der interviewten Personen persönliche Diskriminierungserfahrungen gemacht. Ihre schulischen Erlebnisse seien »in starkem Maße von offenen und verdeckten Diskriminierungen in Form von alltäglichen antiziganistischen Beschimpfungen und Vorurteilen bestimmt«. »Erschreckend ist«, schreibt Daniel Strauß, »dass Antiziganismus offensichtlich auch auf Seiten der Lehrer_innen nach wie vor vorhanden ist und im Schulalltag offen artikuliert wird.«
Während nichtzigane Medienvertreter die Thesen bereitwillig übernahmen, rebellierten ungezählte Sinti gegen den Report, von dem sie sich selbst und ihr Volk nicht angemessen repräsentiert sahen. »Es ist kontraproduktiv, historische Erfahrungen der Großeltern oder gar eine rassistische Umwelt für die desolate Lebenssituation eines Teils der Zigeuner verantwortlich zu machen«, kommentierte die Sinti Allianz Deutschland und bemängelte die Entstehungsgeschichte des Berichts. »Lediglich solche Zigeuner arbeiteten mit und nahmen an den Befragungen teil, die dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma nahe stehen oder in dessen sogenannter Bürgerrechtsbewegung engagiert sind.« Vor diesem Hintergrund seien auch die Ergebnisse zu bewerten. Den Verdacht, die Dokumentation habe sich mit Suggestivfragen an ausgewählte Probanden nicht an den Kriterien wissenschaftlicher Objektivität orientiert, sondern betreibe Verbandspropaganda, nährten auch die Diskutanten auf der Internetplattform Sintiweb, wo man die Studie als »Hohn für uns alle« ablehnte und fragte: »Wer gab denn den Auftrag zu solch einer Bildungsstudie über Sinti und Roma? Und wem dient sie?«
Nun ja, Geheimnisse tun sich da nicht auf. Finanziert, wenngleich nicht in Auftrag gegeben, wurde der Bericht von der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«, die im Jahr 2000 aus Steuermitteln und den Geldern deutscher Unternehmen gegründet wurde, vor allem, um ehemalige Zwangsarbeiter zu entschädigen. Heute setzt sich die Stiftung für Menschenrechte und Völkerverständigung ein und gedenkt der Opfer nationalsozialistischen Unrechts. Die finanzielle Förderung der Untersuchung wurde begründet mit dem »Empowerment« von Minderheiten.
Der Herausgeber der Studie ist Daniel Strauß. Als Vorsitzender des Landesverbandes der Deutschen Sinti und Roma in Baden-Württemberg ist er zugleich Mitglied des Zentralrats in Heidelberg, zudem ist er stellvertretender Vorsitzender des dem Zentralrat angeschlossenen Dokumentationszentrums. Initiiert und durchgeführt wurde der Report von der gemeinnützigen RomnoKher GmbH in Mannheim. Die Projektleitung oblag Daniel Strauß. Er ist der Geschäftsführer von RomnoKher, das sich selbst als »Kompetenzzentrum« und »Haus für Kultur, Bildung und Antiziganismusforschung« versteht. Zu
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