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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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anrief.
    »Ich wollte Sie auch schon anrufen«, sagte sie.
    »Ach?«
    Er öffnete die Autotür. Drinnen wurde es hell. Er roch den vertrauten Duft nach Leder, der nie verflog, Geborgenheit vermittelte.
    »Ich meine, ich hab hier draußen ein Gesicht von früher erkannt«, sagte sie. »Erst kürzlich.«
    »Wen?«
    »Ich weiß es nicht. Dieses Gesicht … Der muss damals hier gewohnt haben. Als Jonas klein war. Was heißt, hier gewohnt, es war jemand, den ich einige Male hier gesehen habe.«
    »Daran erinnern Sie sich nach so langer Zeit?«
    »Ja … Ist das nicht seltsam?«
    Winter meinte ihr Gesicht vor seinem inneren Auge zu sehen. Ihre Verwirrung.
    »Vielleicht täusche ich mich auch.«
    »Warum wollten Sie mir das erzählen?«
    »Ich weiß es nicht … Ich habe es Jonas erzählt. Dass ich ihn wiedergesehen habe, diesen Mann. Kürzlich. Ich … weiß nicht, warum ich es getan habe.«
    Manchmal verrät uns das Unterbewusstsein nicht, warum wir etwas erzählen, dachte Winter. Nicht sofort. Manchmal kommt es erst später heraus. »Und was hat Jonas gesagt?«
    »Er hat nichts gesagt …«
    Winter wartete auf die Fortsetzung.
    »… aber ich hab gemerkt, dass es ihm wichtig war.«
    »Wichtig? Inwiefern wichtig?«
    »Ich weiß es nicht. Es schien … wichtig, bedeutungsvoll. Ich hab versucht, ihn zu fragen, aber er sagte nichts. Jedenfalls ist er irgendwie darauf angesprungen.«
    Winter schwieg.
    »Und kurz darauf … haben Sie ihn ja im Wäldchen gefunden.«
    Winter fuhr in Richtung Süden, die Aschebergsgatan hinauf, am Vasa-Krankenhaus vorbei, wo er einen Sommer lang in der Pflegeabteilung gearbeitet hatte, als er noch glaubte, selbst nie alt zu werden.
    Er fuhr am Chalmers vorbei, bog nach links in den Kreisverkehr am Wavrinskys Plats ein, fuhr an der Guldhedenschule vorbei, bog nach rechts in den Kreisverkehr am Doktor Fries Torg ein und überquerte die Straßenbahngeleise, um in eine Stra…
    Die Frau kam aus dem Fußweg gestürzt, der durch ein Wäldchen führte.
    Ihre Haare flatterten im Wind.
    Sie rannte, fuchtelte wild mit den Armen.
    Vielleicht hatte sie ihn gesehen, vielleicht auch nicht.
    Winter hatte mitten auf den Gleisen gebremst. Plötzlich hörte er Geratter und sah, dass der Hügel linker Hand von einem grellen Licht angestrahlt wurde. Es waren die Scheinwerfer einer Straßenbahn, die den Hügel heraufkam, direkt auf ihn zu. Das Licht fing die Frau ein, die immer noch lief, auf ihn zulief. Winter sah die Haltestelle, und er dachte, verflucht, die Bahn muss doch halten! Da ist eine Haltestelle! Aber die Straßenbahn ratterte weiter. An der Haltestelle wartete niemand. Niemand wollte dort aussteigen. Winter hörte das durchdringende Schrillen der Straßenbahn, das Geratter, die Warnsignale.
    Die Frau war nur noch wenige Schritte von ihm entfernt. Er riss das Steuer nach rechts, ließ die Kupplung kommen, drückte das Gaspedal herunter, und der Mercedes hob ab vom Gleis wie ein Jagdbomber von einem Flugzeugträger.

36
    Ihre Augen waren so groß wie der Vollmond über ihnen. Sie starrte ihn durch die Windschutzscheibe an, ihr Blick war leer und gleichzeitig voller Entsetzen.
    Die Frau lag über der Motorhaube und atmete, als hole sie zum letzten Mal Luft.
    Winter sprang aus dem Auto, stürzte zu ihr und versuchte sie aufzurichten. Sie war schwer wie eine Tonne, wie eine Straßenbahn.
    Die Straßenbahn hatte etwa fünfzig Meter entfernt unten am Hügel in einem Funkenregen gebremst. Über die Fassade der Guldhedenschule zuckte das aufgeregte Blinken all ihrer Lichter.
    Er hielt die Frau in seinen Armen. Jetzt wog sie nicht mehr so viel, sie stemmte die Füße in den Asphalt, und die Beine schienen sie jetzt zu tragen, aber nur gerade so.
    »Kommen Sie.« Langsam führte er sie um die Motorhaube herum zum Beifahrersitz, öffnete die Tür, half ihr, sich zu setzen, schloss die Tür, ging zur anderen Seite und setzte sich auf den Fahrersitz. Die Straßenbahn hielt immer noch. Vielleicht sprach der Fahrer über Funk mit der Polizei.
    »Wie geht es Ihnen, Nina?«
    Sie versuchte etwas zu sagen, aber sie zitterte zu heftig. Er streckte den rechten Arm aus und zog sie an sich, um sie zu beruhigen, was auch gelang. Unterdessen glitt die Straßenbahn langsam davon. Sie musste ihren Fahrplan einhalten.
    »Was ist passiert, Nina?«
    Sie hob den Kopf und starrte durch die Windschutzscheibe, den Lichtern der Straßenbahn hinterher, die sich entfernten.
    Winter ließ sie los.
    »Was ist passiert?«
    »Er … er hat sich

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