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Der Gladiator

Der Gladiator

Titel: Der Gladiator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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K APITEL 1
    A n der Mulvischen Brücke, wo tagtäglich eine Flut von Geschäftsreisenden, zwielichtigem Gesindel und jungen Leuten, die ihr Glück machen wollten, in die Stadt Rom strömte, machte Vitellius halt. Er wischte sich mit dem nackten Arm über die Stirn, die letzten drei Tage des Monats April waren schwül; dann spuckte er in weitem Bogen in den Tiber, der braun und träge dahinzog, und stellte sein Bündel auf das warme Pflaster der Via Flaminia.
    »Du suchst ein Vergnügen, schöner Jüngling?«
    Vitellius griff erschreckt nach dem Bündel, in das seine ganze Habe geschnürt war, und drehte sich um. Vor ihm stand ein Mann, vornehm gekleidet, er mochte im vierten Jahrzehnt seines Lebens sein.
    »Vergnügen?« sagte Vitellius schüchtern, der mit Befremden wahrnahm, daß Augenbrauen und Wimpern des Fragestellers schwarz getuscht und die rotblonden Haare mit Goldpuder bestäubt waren. »Ich suche Arbeit und ein Dach über dem Kopf! Mögen die Götter mir gnädig sein!«
    »Arbeit!« Der andere lachte. »Arbeit!« Sein Gelächter wurde immer lauter, schließlich prustete er heraus, daß es die Umstehenden hören konnten: »Da sucht einer Arbeit, Arbeit, Arbeit!« Dabei tänzelte er mit zierlichen Schritten von einem Bein auf das andere.
    Als er sich etwas beruhigt hatte, trat er einen Schritt näher und sagte, während er die linke Schulter vorschob: »Ich bin Cäsonius. Jeder in der Stadt kennt mich, nicht nur die Nomenklatoren«, und unvermittelt fragte er: »Du kommst vom Land?«
    Vitellius nickte. »Aus Bononia, ich heiße Gaius Vitellius.«
    »Du bist doch ein entlaufener Sklave, ein Fugitivus!« bohrte Cäsonius weiter und trat noch näher an Vitellius heran. »Nimm dich in acht.« Doch der protestierte entrüstet, während er auf die runde Bürgerrechtsmedaille an seinem Hals zeigte: »Bei allen Göttern und bei meiner rechten Hand, nein! Zwar bin ich keiner von den bürgerlichen Honestiores, aber wir aus der Plebs sind auch Freie, auch wenn es uns am Geld fehlt. Mein Vater war ein rechtschaffener Schuhmacher. Als er mich vor 17 Jahren, wie viele Kinder in dieser Zeit, auf dem öffentlichen Dunghaufen aussetzte, handelte er im Rahmen der Gesetze. Die Not zwang ihn dazu. Für mich als fünftes Kind war weder Raum noch Nahrung vorhanden. Daß ich nicht verhungert bin, verdanke ich der Gunst der Götter. Ein Kesselflicker hörte mein Wimmern und holte mich aus dem stinkenden Abfall. Nun bin auch ich ein Kesselflicker und …«
    »… Und hoffst, mit römischen Kesseln dein Glück zu machen«, fiel Cäsonius dem Jungen ins Wort und lächelte mitleidsvoll.
    »Ja«, sagte Vitellius überzeugt.
    Cäsonius machte ein ernstes Gesicht. »Aus Bononia kommst du, wie du sagtest. Wie viele Menschen leben in den Mauern dieser Stadt?«
    Vitellius hob die Schultern: »25.000 vielleicht. Warum fragst du?«
    »Und wie viele Kesselflicker gibt es in Bononia?«
    »Fünf oder sechs.«
    »Gut«, meinte Cäsonius; dann zeigte er mit dem linken Arm nach Süden: »Rom birgt zwar mehr als eine Million Menschen in seinen Mauern, aber dafür gibt es ganze Straßenzüge, in denen ein Kesselflicker neidvoll auf die Arbeit des anderen blickt. Jede Insula, jeder Wohnblock, hat eigene Handwerker. Von den herumziehenden Handwerkern, die in den vornehmen Stadtbezirken am Esquilin und Aventin nach Löchern in den Töpfen der Reichen suchen, ganz zu schweigen. Kurz, in Rom gibt es Tausende Kesselflicker.«
    Vitellius sah betroffen vor sich hin. Die Stadt, auf die er seine ganze Hoffnung gesetzt hatte, diese Stadt unbegrenzter Möglichkeiten, sie schien ihm auf einmal abweisend und unfreundlich. Am liebsten hätte er sein Bündel gepackt und kehrtgemacht; doch dann hörte er die schmeichelnde Stimme des Cäsonius: »Du mußt keine Furcht haben. Ein Jüngling, kraftstrotzend wie Herkules und schön wie Hyacinthus, ist in Rom allemal auf Fortunas Pfaden gewandelt. Der weise Cato sagte einmal, ein schöner Jüngling bringe mehr ein als die Ernte eines Feldes. Glaube mir, er hatte recht.« Dabei faßte Cäsonius dem Jungen an den Oberschenkel. Instinktiv wich Vitellius zurück. Cäsonius tat so, als merkte er es nicht, er stellte sich neben ihn, so daß beide in eine Richtung blickten.
    »Sieh nur das muntere Treiben!« Cäsonius machte eine einladende Handbewegung. »Noch bevor auf dem Palatin der Tempel der Luna Noctiluca beleuchtet wird, treffen sich hier im Ager Romanus an der Neige des Tages all jene, denen Jupiter und Venus das Glück

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