Zitadelle des Wächters
versuchen, das Glück am Schopf zu packen, sagte sie sich, als sie in der Dunkelheit in der Koje lag und dem Knattern der Segel im Nachtwind, dem Stöhnen des hölzernen Decks und den gelegentlichen Befehlen lauschte, die die Schiffsmannschaft sich zugrunzte.
Tessa erzählte niemandem von ihrem Plan, noch nicht einmal ihren Mitgefangenen, von denen ihr keine vertrauenswürdig erschien. Die meisten kamen aus noch schlechteren Verhältnissen als Tessa, die Tochter eines Schäfers: Straßenhuren, Waisen oder noch schlimmer: Bettler. Tessa lauschte ihrem Genörgel und Gelächter, und ihr fielen dabei ihre ungebildeten Akzente auf. Sie versuchte den Herkunftsort der Betreffenden herauszufinden. Eine stammte eindeutig aus einer nördlichen Siedlung am Cairn-Fluß. Eine andere aus der Gosse von Hok in Pindar. Wieder andere kamen aus den Hinterwäldler-Provinzen bei Baadghizi. Sie alle empfingen Tessa zunächst mit Mißtrauen, das sich später in Feindseligkeit verwandelte, weil sie an ihren groben Vergnügungen nicht teilnehmen wollte.
Außerdem gab es noch ein Problem: die Mannschaft. Hartgesottene Männer, denen während der langen Fahrt nur wenige Freuden zuteil wurden. Und sie waren mehr als einverstanden mit den Möglichkeiten, die sich angesichts eines ganzen Raums voller zukünftiger Konkubinen als Fracht ergaben. Mit dem Ende jeder Schicht kamen ganze Invasionen zu spontanen Feiern und endlosen Schmähungen herunter.
Als die Silbermädchen dann Eleusynnia erreichte, war es Tessa egal, ob sie leben oder sterben würde, Sie wußte nur eins: Mit diesem Schiff würde sie nicht mehr weitersegeln. Sie haßte ihren Vater, und sie haßte die anderen Frauen; und sie wollte die Männer umbringen, alle Männer umbringen. Männer waren Tiere – schnaufende, schwitzende, stinkende Tiere –, die kein Wort mit ihr wechselten, sie nicht einmal ansahen, wenn sie, auf Ellenbogen und Knien abgestützt, auf ihr lagen. Sie konnte nur noch hassen.
Aber an diesem Abend kamen nach dem Schichtwechsel weniger Männer von der Mannschaft herunter, denn das Schiff war in einem Hafen vor Anker gegangen. Diejenigen, die auf Freiwache waren, schlenderten durch die nächtlichen Straßen der Stadt auf der Suche nach neuen Eroberungen. Dies war Tessas günstigste Gelegenheit. Sie stand schnell auf und suchte sich von den grölend in die Kabine eindringenden Männern einen kleinen aus. Er war schon älter, hatte schwache Knochen, verkniffene Züge und eine Glatze. Aber seine Augen zeigten eine Spur verbliebener Freundlichkeit.
Sie trank mit ihm und ließ sich von seinen knochigen Fingern berühren und streicheln. Sie zwang sich, ihn zu umarmen, seinen Nacken zu kraulen und über seine plumpen Versuche, witzig zu wirken, zu lachen. Als er offensichtlich sein Quantum beim Wein erreicht hatte, bat sie ihn, er möge sie mit aufs Deck nehmen, wo sie einen Blick auf die majestätischen Lichter Eleusynnias unter einem Viertelmond werfen konnte. Der Mann sah Tessa merkwürdig an, aber möglicherweise besaß er selbst so etwas wie eine romantische Ader, denn er nickte und lachte, als er sie nicht allzu grob aus der miefigen Kabine führte.
Tessa hatte noch nie zuvor einen Menschen getötet. Und bei diesem hier war es besonders schwierig, weil er der netteste Mann war, den sie je kennengelernt hatte. Als er sie am Schandeckel in die Arme nahm und seine dünnen Lippen auf die ihren preßte, ließ Tessa ihre Finger suchend über sein Kreuz fahren, bis sie den Gürtel fanden. Dort spürte sie den Griff seines Messers. Die Waffe fühlte sich hart und glatt an. Tessa wußte, daß sie jetzt schnell und zielbewußt handeln mußte.
Während sie ihren Körper mit seinem verhakte, stöhnte sie laut auf, als sie das Messer aus der Scheide zog. Und sofort stieß sie die Waffe zwischen die unteren Rippen des Mannes. Er verkrampfte sich und schrie laut auf, als sie die Waffe durch seinen Leib stach. Etwas Dunkles quoll über seine Lippen, und in seine Augen trat ein glasiger Blick, sie sahen nichts mehr. Plötzlich ertönte ein Geräusch. Stiefel krachten auf die Planken und kamen näher. Tessa starrte erst auf die zusammengesunkene Gestalt zu ihren Füßen, dann auf die näher kommenden Gestalten auf dem Deck und schließlich auf die schimmernde, ölige Oberfläche des Wassers, das träge gegen die Außenhülle des Schiffes platschte.
Ohne nachzudenken sprang sie über die Reling und spürte einen Lufthauch und den erfrischenden Stoß von etwas, das bedeutend
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