Zivilcourage - Keine Frage
der Bundesgerichtshof erneut prüft, bliebe es bei dem ersten Täter möglicherweise weiterhin bei dem Urteil Mord. Denn Markus Sch. hat auch noch auf Brunner eingetreten, als der schon wehrlos am Boden lag und das nach Feststellung des Gerichts mit Tötungsvorsatz. Der Fakt, dass Brunner zuerst zugeschlagen hat, könnte sich allerdings strafmildernd auswirken.
Und bei dem zweiten Täter?
Der Anwalt von Sebastian L. akzeptiert zwar die Bewertung der Körperverletzung mit Todesfolge. Dennoch hält auch er das Strafmaß von sieben Jahren für zu hoch. Ich kann das nachvollziehen, denn Abschreckung der Allgemeinheit durch ein Urteil hat im Jugendstrafrecht nichts verloren. Junge Täter sollen durch die Strafe wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden. Der Tod Brunners ist überdies durch sein Herzproblem eingetreten.
Wie kommt denn dann das aktuelle Urteil zustande?
In der jetzigen Urteilsbegründung unterstellt die Staatsanwaltschaft zumindest dem Haupttäter, aus Rache auf den Angriff gehandelt zu haben. Außerdem geht sie davon aus, dass der erste Schlag Brunners Nothilfe war. Das ist aber keineswegs so klar, denn mehrere Zeugen gaben an, dass die eigentliche Gefahr längst vorüber war, als Brunner, die Kinder und die Jugendlichen aus der S-Bahn ausgestiegen waren. Ein Schlag aus Nothilfe war also offenbar unnötig.
Ist das jetzige Strafmaß zu hart?
Das hängt von der Bewertung dieser Nothilfe-Frage ab. Es ist hart, aber angemessen, wenn Markus Sch. wirklich die Absicht gehabt hat, Brunner zu töten und auch der BGH die Nothilfelage bestätigt. Das Urteil wäre aber zu hart, wenn zu Beginn des Kampfes objektiv keine Nothilfe erforderlich war. Vom Tötungsvorsatz ist auszugehen: Wer mehrmals brutal auf einen wehrlos am Boden liegenden Menschen eintritt, handelt vorsätzlich und nimmt den Tod des Opfers in Kauf.
Warum hat die Staatsanwaltschaft erst so spät öffentlich gemacht, dass Brunner zuerst zugeschlagen hat und eine Herzschwäche hatte?
Die Staatsanwaltschaft hat die Fakten wohl absichtlich spät veröffentlicht, um eine entsprechende Stimmung zu erzeugen und die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu bringen.
Ist das Urteil richtungsweisend?
Nein, das ist das Ärgerliche an dem ganzen Fall: Das Urteil wird im Hinblick auf den Aspekt Zivilcourage total überschätzt. Das Verhalten Brunners nach dem Aussteigen aus der S-Bahn mag menschlich gesehen nachvollziehbar sein. Objektiv betrachtet hat er sich aber mehr als zweifelhaft verhalten. Nicht nur, dass er seine Jacke ausgezogen und den Rucksack zur Seite gelegt hat, er ist auch aktiv mit erhobenen Fäusten auf die Jugendlichen zugegangen. Und er soll außerdem verbal angekündigt haben, dass es gleich Ärger geben werde.
Wird das Verfahren anderen jugendlichen Straftätern eine Lehre sein?
Nein, die Höhe der Strafe ist nicht abschreckend, sondern das Risiko des Erwischtwerdens. Jugendliche reagieren sehr spontan, die Dynamik einer Tat wie in München-Solln folgt anderen Regeln. Daher bringt es überhaupt nichts, wenn Politiker und die Öffentlichkeit nach derartigen Ereignissen lauthals nach härteren Strafen verlangen.
Ihr Fazit im Fall Brunner?
Brunners Fall ist eine tragische Geschichte. Er hat anfangs zivilcouragiert reagiert und sich der Kinder angenommen. Doch schon in der S-Bahn hat er den ersten gravierenden Fehler gemacht: Er hat niemanden gebeten, ihn zu unterstützen. Auf dem Bahnsteig ging es dann weiter. Trotzdem avancierte Brunner zur Ikone der Zivilcourage. Immer wieder wurde gelobt, dass er alles richtig gemacht habe. Die eigentliche Botschaft des Falles ist hingegen nicht kommuniziert worden: Zivilcourage ist wichtig. Aber wer sich falsch einmischt, gerät schnell in große Gefahr.
2 Tatort Deutschland
» Die Stärke unserer Gesellschaft
misst sich am Wohl der Schwachen. «
Helmut Simon
2.1 | Wenn Menschen auf der Strecke bleiben
Sie laufen unmotiviert um den Sportplatz, prügeln sich um zehn Euro, treten gegen Stühle, beschimpfen die Sozialarbeiter und Therapeuten. Die fünfzehn straffällig gewordenen Jungs sind zornig, frustriert, aggressiv. Sie verstehen nicht, warum gerade Boxen ihr Leben verändern soll. » Für was soll ich boxen, wofür den Scheiß? Ich brauch euch nicht, das hier ist ein Abstellgleis. « Mit Sprüchen wie diesen wehren sie sich gegen das Projekt Work and Box. Doch es ist ihre letzte Chance. Ein Jahr haben die Jugendlichen Zeit, sich darin zu bewähren. Sie lernen boxen und werden aufs Leben
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