Zons 03 - Kalter Zwilling
Friedrichs ist abgebrannt. Er wollte die Reste wegschaffen, als ihm verkohlte Knochen in die Hände fielen.«
Bastian musterte die alte Frau zweifelnd. Sicher übertrieb sie ihre Entdeckung maßlos. Wahrscheinlich handelte es sich um Tierknochen. Er sah zu Wernhart hinüber. Dieser verdrehte die Augen. »Wir werden es uns wohl anschauen müssen.«
Lustlos trotteten sie der alten Jonata Heusenstamm hinterher.
...
Die Hütte war nur teilweise abgebrannt. Der Gestank nach verbranntem Fleisch hing in der Luft und verursachte ein flaues Gefühl in Bastians Magen. Der Anblick, welcher sich ihm im Inneren der Hütte bot, ließ Bastian den Geruch auf der Stelle vergessen. Eine halbverkohlte Leiche saß zusammengesunken an einem Holzbalken. Dieser war sichtlich verbrannt, aber offenbar war das Feuer nicht stark genug gewesen, um ihn zusammenbrechen zu lassen. Der untere Teil der Leiche war zu einem Haufen aus Knochen, Fleisch und Asche verschmolzen. Erst von der Hüfte an aufwärts konnte Bastian eine menschliche Gestalt erkennen. Sein Blick blieb auf der Brust der Leiche hängen. Es war eine Frau!
Haare und Gesicht waren bis zur Unkenntlichkeit verkohlt, aber die Wölbungen auf der Brust verrieten ihr Geschlecht deutlich. Statt Augen stierten ihn leere Höhlen an. Der Mund war zu einem letzten Schrei verzerrt. Fünf tote Hundewelpen lagen mit verdrehtem Genick um die Leiche verstreut. Auch ihre Körper waren nur teilweise vom Feuer verbrannt. Bastian hob ein verkohltes Holzbrett an und entdeckte darunter einen weiteren Kadaver, wahrscheinlich die Mutter dieser armen Welpen.
Wernhart, der gerade die Tote untersuchte, schüttelte den Kopf. »Ich kenne diese Frau nicht. Aus Zons wird doch zurzeit niemand vermisst?«
Bastian deutete ein Kopfschütteln an. Er kannte keine Frau aus Zons, die vermisst wurde. Das Städtchen war so klein, dass sich das Verschwinden eines Menschen wie ein Lauffeuer herumsprechen würde. Diese Frau hier war eine Fremde. Er betrachtete die Überreste ihrer Kleidung. Der Stoff wirkte einfach und derb. Wahrscheinlich eine Bettlerin, fuhr es Bastian durch den Kopf, die hier Unterschlupf gesucht hatte. Diese Tote hatte ihm gerade noch gefehlt. Bei der Suche nach dem Mörder des Schmiedes Matthias Honrath war er keinen Schritt weitergekommen und jetzt tat sich schon das nächste Ungemach vor seinen Augen auf. Wenn er nicht völlig den Überblick verlieren wollte, mussten sie sich aufteilen. Zu Wernhart gewandt, sagte er: »Du solltest die Stadtwache befragen. Vielleicht kann sich jemand an ein Bettelweib erinnern, welches in den letzten Tagen in Zons um Almosen gebeten hat. Ich werde noch einmal in die Schmiede gehen. Wir haben irgendetwas übersehen.«
...
Er konnte sich kaum an dem Jungen sattsehen. Sein braunes Haar wehte im Wind und sein Gesicht strahlte eine solche jugendliche Schönheit aus, dass es ihm den Atem verschlug. Gebannt duckte er sich im Dickicht und zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht. Die Lichtung lag in warmem Sonnenlicht. Ein kleiner Bachlauf plätscherte munter vor sich hin. Dieser Ort erschien Gilig fast wie das Paradies. Ein Ast knackte und er blickte in die andere Richtung. Da war der zweite Junge. Die Ähnlichkeit war umwerfend. Sie unterschieden sich kaum. Ihre schlanken, drahtigen Jungenkörper faszinierten ihn. Er sog jede Bewegung in sich auf und versuchte, sich diesen Augenblick fest ins Gedächtnis einzuprägen, damit er sich später auf seinem Strohbett daran erinnern konnte. Instinktiv legte er die Hand in den Schritt und bewegte sie hektisch auf und ab. Für einen Moment schloss er die Augen. Nein! Er ließ von sich ab. Später. Er musste wachsam sein. Wenn sie ihn entdeckten, wäre es für immer vorbei. Das würde sein Herz brechen. Also zog er sich weiter in das Dickicht zurück und genoss ihren Anblick, erregt von der Vorfreude über den nahenden Abend und die Nacht, in der er seine Fantasie ausleben konnte.
VIII.
Gegenwart
Er bekam kaum Luft, aber im Laufe der Jahre hatte er sich absolute Disziplin angeeignet. Jedes Mal, wenn er sich zwischen den Rohren der Lüftungsanlage hindurchquetschte, spürte er, wie seine Eingeweide zusammengepresst wurden. Fünfzehn Meter ohne einen einzigen Atemzug, nur mit der Kraft seiner Arme und Beine, musste er überwinden, um zum ersehnten Ausgang zu gelangen. Er schaffte es innerhalb weniger Minuten. Es war schwierig gewesen, an die nötigen Informationen zu kommen. Aber seit
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