Zu gefährlicher Stunde
ständig lobt, weil sie ihr Leben so gut in den Griff bekommen hat.«
Sein versteckter Vorwurf beschämte
mich. Ich kam mir illoyal gegenüber einer Mitarbeiterin vor, die mir bisher nie
Anlass zu Verdächtigungen gegeben hatte. Dennoch nagte der Zweifel an mir. Ted
spürte meinen inneren Konflikt und gab nach. »Dann rufe ich jetzt Glenn an.«
»Danke. Und druck mir bitte die Akte
Aguilar aus.«
Ich kehrte in mein Büro zurück und ließ
mich wie betäubt in meinen Schreibtischstuhl fallen. All die angenehmen
Gefühle, in denen ich mich gerade noch gesonnt hatte, waren dahin. Wieder
einmal hatte mich das Leben daran erinnert, dass nichts so sicher ist, wie es
scheint. Dass niemand gewappnet ist gegen unvermittelte Schicksalsschläge, die
einen immer und überall treffen können.
Ein paar Minuten später stellte Ted
Glenn zu mir durch.
»Schlechte Neuigkeiten, meine
Freundin«, sagte er, nachdem ich ihm die Situation geschildert hatte.
»Das brauchst du mir nicht zu sagen.«
»Julia Rafael — das ist doch die Große,
oder? Eins fünfundsiebzig, eins achtzig, gute Figur, ziemlich reserviert?«
»Sie ist schüchtern. Hatte eine schwere
Kindheit. Fühlt sich unter Menschen aus anderen Gesellschaftsschichten noch
nicht richtig wohl.«
»Das war nicht abfällig gemeint. Als
ich in Stanford anfing, war ich genauso. Als Stipendiat unter lauter reichen
Kids, mit einem Vater, der ein Lebensmittelgeschäft in Duluth hatte und
überdies Jude war. Ich bin deiner Ms Rafael nur einmal begegnet, da fand ich
sie interessant. Ist es denkbar, dass sie tatsächlich getan hat, was Aguilar
ihr vorwirft?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass
sie ihn angemacht und ihm aus Rache die Kreditkarte gestohlen hat. Manchmal
benimmt sie sich allerdings seltsam.«
»Inwiefern?«
»Einerseits ist sie schüchtern, was
mitunter auch als Unnahbarkeit rüberkommt. Andererseits kann sie in beruflichen
Situationen durchaus beherrscht und selbstsicher auftreten. Doch wenn jemand
etwas sagt oder tut — mag es noch so harmlos sein — , das sie als Beleidigung
empfindet, flippt sie aus. Ich musste sie mehrmals deswegen ermahnen.«
»Klingt interessant«, meinte Glenn.
»Vielleicht als Fallstudie, aber nicht,
wenn der Ruf meiner Firma auf dem Spiel steht. Wenn Aguilar zum
Verbraucherministerium geht und Beschwerde gegen uns einlegt, wird es
bestenfalls teuer und schlimmstenfalls verheerend.«
»Du hast deine Lizenz vom Ministerium.
Julia auch.«
»Das stimmt so nicht. Sie ist
Auszubildende und hat noch nicht genügend Stunden zusammen, um die Prüfung
abzulegen.«
»Also musst du für sie haften.«
»Falls sie beweisen können, dass ich gewusst
habe, was sie getan hat.«
»Was nicht der Fall ist.«
»Nein, aber... Himmel, Glenn, man weiß
nie, wie deren Anhörungen ablaufen. Ich habe wahre Horrorgeschichten gehört.
Die Ermittler tauchen einfach im Büro auf — und zwar nicht, um sich nach dem Wetter
zu erkundigen. Sie befragen einen ausführlich und wollen die Akten des
betreffenden Falls einsehen. Weigert man sich, kommen sie mit einer Vorladung
und der festen Überzeugung zurück, dass man schuldig ist. Manchmal prüfen sie
sogar den Jahresabschluss. Falls das BSIS — das Bureau of Security and
Investigative Services, das alle Lizenzverfahren kontrolliert — die
Beschwerde für begründet hält, kommt es zu einer Anhörung. Und dann kann alles
passieren. Sogar der endgültige Entzug der Lizenz. Selbst wenn die Beschwerde
abgewiesen wird, bleibt es eine teure Angelegenheit mit den ganzen
Anwaltshonoraren und Gerichtskosten, von der Rufschädigung ganz zu schweigen.«
»Hattest du schon einmal mit einem
solchen Verfahren zu tun?«
»Nein. In meinen Anfangsjahren war ich
dreist und ging dumme Risiken ein, sodass ich mich über Beschwerden nicht hätte
wundern dürfen. Aber ich hatte Glück. Jetzt bleibe ich auf dem rechten Weg,
meistens jedenfalls, und verlange das Gleiche von meinen Mitarbeitern.«
»Na ja, um die Folgen würde ich mir
später Sorgen machen — falls Aguilar überhaupt Beschwerde einlegt. Ich fahre
jetzt erst mal ins Gericht.«
»Meinst du, du bekommst Julia frei?«
»Das möchte ich bezweifeln. Vermutlich
ist am Wochenende kein Richter im Dienst. Aber ich kann mir immerhin ihre Sicht
der Dinge anhören und versuchen herauszufinden, welche Beweise sie haben. Wo
kann ich dich erreichen?«
»Hier im Büro, nehme ich an. Ich habe
noch eine Menge Papierkram zu erledigen.«
»Bis später dann.«
Ich legte
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