Zu gefährlicher Stunde
dem FBI zugeteilt war. Etwa ein Jahr später
quittierte er den Dienst und zog zu ihr an die Westküste, worauf ich ihn in
meine Agentur holte. Ein guter, fähiger Mann.
»Sierra Nevada. Prost!« Er öffnete zwei
Bierflaschen, wickelte Sandwiches und Dillgurken aus und nahm den Deckel der
Dose mit dem Kartoffelsalat ab. Dann stieß er mit mir an und sagte: »Auf einen
schönen Samstag.« Dann wurde seine Miene ernst. »Für Jules gilt das wohl
nicht.«
»Du hast also davon gehört.«
»Es stand heute Morgen auf der
Titelseite. Die Ärmste. Konntest du sie besuchen?«
Ich schüttelte den Kopf und kaute auf
meiner Gurke. »Sie ist im Hochsicherheitstrakt. Keine Besucher außer Glenn
Solomon. Sie hat ihm gesagt, sie habe Aguilars Kreditkarte nicht gestohlen,
aber...«
Craig hielt mit dem Sandwich auf halbem
Weg zum Mund inne. »Na los, Shar, du kennst Jules. So was macht sie nicht.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Du hältst sie doch nicht für
schuldig?«
»Es gibt eine Menge Beweise. Pakete von
Versandhäusern im Lagerraum ihrer Wohnung. Und eins bei uns in der Poststelle.«
»Es muss eine vernünftige Erklärung
dafür geben...«
»Darüber habe ich schon eine schlaflose
Nacht verbracht.«
Craig zögerte. »Hör mal, Shar, du hast
dich immer hundertprozentig hinter deine Mitarbeiter gestellt. Du warst immer
da, wenn jemand Mist gebaut oder etwas richtig Dummes getan hatte. Wie oft habe
ich dich sagen hören: ›Wenn wir einander nicht vertrauen, wem dann?« Und jetzt
komm mir nicht von wegen, Jules sei vorbestraft oder dass sie uns vielleicht
betrügt. Sicher, sie hat diese Veranlagung, aber die setzt sie heute positiv
ein — zum Beispiel, um ihre Fälle zu lösen.«
Craig war zynisch geworden, als er nach
Jahren engagierter und verdienstvoller Arbeit das FBI verlassen hatte. Dass
ausgerechnet er so fest an Julia glaubte, beschämte mich und gab mir
gleichzeitig neue Hoffnung.
»Okay«, sagte ich, »mag sein, dass du
Recht hast. Vielleicht sagt sie die Wahrheit. Aber wenn dem so ist, müssen wir
herausfinden, was wirklich passiert ist. Dabei kannst du mir helfen.«
»Ich bin dabei. Was soll ich tun?«
»Du bist doch gut informiert. Erzähl
mir alles, was du über Alex Aguilar weißt.«
»Alex Aguilar kam Anfang der Neunziger
aus Südkalifornien nach San Francisco. Durch seine ehrenamtliche Arbeit für die
hispanische Gemeinde im Süden hatte er Kontakt zu Scott Wagner bekommen, einem
brillanten Absolventen der University of Southern California. Wagner war
Experte in der Beschaffung öffentlicher Mittel. Er entschloss sich, nach San
Francisco zu ziehen, und überredete Aguilar mitzukommen. Sie bewarben sich um
Bundes-, Staats- und private Mittel, um ihr Ausbildungszentrum zu gründen.«
»Trabajo para Todos.«
»Genau. Es lief von Anfang an gut.
Wagner hatte ein angeborenes Talent für Verwaltungsarbeit, und Aguilar kann gut
mit Menschen umgehen.«
»Warum sprichst du in der Vergangenheit
von Wagner?«
Craig trank einen Schluck Bier. »Er kam
letzten Monat ums Leben — bei einem Wanderunfall oben in Marin County.
Jedenfalls bewarb sich Aguilar vor sieben Jahren um einen Sitz im Stadtrat und
wurde mit der überwältigenden Mehrheit der Leute im Mission District gewählt.
Er ist jetzt in seiner zweiten Amtszeit.«
»Es heißt, er schiele auf das Amt des
Bürgermeisters.«
»Sicher, aber das ist Zukunftsmusik. Er
läuft sich warm, aber ganz allmählich.«
»Weißt du etwas über sein Privatleben?«
»Ziemlich wenig. Er ist unverheiratet.
Lebt seit Jahren in einer Wohnung im Mission District, fährt einen alten Datsun
und legt Wert auf Secondhandklamotten, weil seine Klienten die auch tragen.«
»Er kam mir ein wenig schäbig vor, als
er damals in der Agentur war. Ich hatte mich schon gefragt, ob er sich unsere
Sätze überhaupt leisten kann, aber er zuckte nicht mit der Wimper, als ich den
Vorschuss nannte, und hat prompt bezahlt. Hat er trotz der Arbeit im Stadtrat
noch mit dem Ausbildungszentrum zu tun?«
»Weniger als früher. Er hat einen guten
Mann eingestellt, Gene Santamaria. Ich vermute, Santamaria versteht sich auch
darauf, Mittel zu beschaffen. Aguilar ist nicht dumm, er weiß, dass er nicht
mit zu vielen Bällen gleichzeitig jonglieren kann.«
»Mit zu vielen Bällen? Was macht er
denn sonst noch?«
»Er hat noch ein Nebengeschäft — Import-Export,
Waren aus Mexiko und Mittelamerika. Hauptsächlich Kleidung, die er in einem
Touristenladen am Ghirardelli Square verkauft.
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