Zu Grabe
aber kein typischer … die braucht mehr Wasser als ihre Artgenossen … und da habe ich aus Versehen ein bisschen was daneben geschüttet, und jetzt wollte ich …«
Weber bedachte Morell mit einem tadelnden Blick und nahm einen Schluck Kaffee. »Von mir aus, lies die Akte ruhig und sieh es mit deinen eigenen Augen«, sagte er gönnerhaft. »Mir willst du ja nicht glauben, aber die Fakten sprechen für sich: Lorentz hat ein Motiv, kein Alibi, und außerdem wurde er dabei beobachtet, wie er in der Mordnacht den Tatort verlassen hat. Es sieht also ziemlich schlecht für deinen Freund aus.« Weber konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Meine Männer und ich haben den Tathergang folgendermaßen rekonstruiert: Novak steht Lorentz’ akademischer Karriere im Weg, und die beiden geraten sich deswegen immer häufiger in die Haare. Die Situation spitzt sich noch mehr zu, als sich Novak die Forschungsergebnisse seines jungen Kollegen unter den Nagel reißt. Lorentz bricht daraufhin in das Büro des Professors ein, wird dabei von diesem überrascht – und tötet ihn.«
Morell schüttelte den Kopf. »Deine Theorie würde für einen Mord im Affekt sprechen. Die Fotos da drinnen«, er zeigte auf den Ordner, »lassen aber ganz eindeutig auf ein geplantes, kaltblütig ausgeführtes Verbrechen schließen.«
»Es war anscheinend in Fachkreisen bekannt, dass das Opfer davon träumte, nach seinem Tod einen Platz im Arkadenhof zu bekommen. Wir halten die Positionierung des Schädels für einen makabren Scherz, den Lorentz sich nach der Tat hat einfallen lassen.«
»Und wo, bitte schön, soll er den Körper der Leiche versteckt haben? Der fehlt ja wohl auch noch, wenn ich richtig gelesen habe. Und wie sieht’s mit der Tatwaffe aus?« Morell schüttelte den Kopf. »Hier gibt es noch viel zu viele offene Fragen, um jemanden vorzuverurteilen.«
»Den Körper und die Tatwaffe werden wir sicher bald finden, und die Spusi wird beweisen, dass dein guter Herr Doktor hinter allem steckt.«
»Das ist doch alles Quatsch. Ich kenne Leander.«
Weber verzog das Gesicht. »Du und deine angebliche Menschenkenntnis. Sieh dich doch mal an, Otto. Wo hat dich denn deine Philanthropie hingebracht? Du bist von hier abgehauen, weil du nicht für die Arbeit mit Kapitalverbrechen geschaffen bist, also geh zurück ins Wunderland zu deinen Gartenzwergen und überlass die harten Fälle den Profis. Glaub mir: Lorentz hat auf jeden Fall was mit der Sache zu tun. Früher oder später werden wir es ihm hieb- und stichfest nachweisen können. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Vergiss endlich deine alberne Intuition. Es sind die Fakten, die zählen.«
Morell sah ein, dass er hier nicht mehr weiterkam. »Kann ich mit Leander sprechen?«, fragte er.
»Die Besuchszeit ist für heute schon vorbei. Du kannst deinen Freund morgen Nachmittag sehen, aber mach dir nicht zu viele Hoffnungen, dass du ihn da rauskriegst.«
Morell stand auf und verabschiedete sich. Das Gespräch mit Weber war alles andere als gut gelaufen, und nun musste er das irgendwie der armen Capelli beibringen.
»Ich bin so glücklich, dass du gekommen bist«, sagte Nina, als sie die Tür öffnete. Die Gerichtsmedizinerin, die normalerweise eine ausgeglichene Frohnatur war, wirkte müde und abgeschlagen. Ihr Gesicht war blass, und sie hatte tiefe, dunkle Ringe unter den Augen.
»Ich habe gesehen, dass dein Auto vor der Tür steht. Du hast deinen Schlüssel also doch noch gefunden«, stellte Morell fest. »Wo war er denn?«
»Erinnere mich nicht daran«, winkte sie ab. »Ich musste ganze zwölf Umzugskartons öffnen, bis ich ihn endlich gefunden habe.« Sie trat zur Seite. »Komm doch rein.«
Das Erste, was Morell ins Auge stach, war das Chaos in der Wohnung. Überall standen Kisten, Koffer, Taschen und halb zusammengebaute Möbel herum.
Capelli hatte seinen Blick bemerkt. »Leander wurde anscheinend verhaftet, bevor er alles herrichten konnte«, sagte sie, den Tränen nahe. »Er wollte bis heute Abend mit dem Gröbsten fertig sein, aber …« Sie konnte nicht mehr weiterreden, zog ein zerknülltes Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich damit ein paar Tränen aus dem Gesicht.
Morell stellte seinen Koffer auf den Boden und nahm die völlig aufgelöste Gerichtsmedizinerin in den Arm. »Schschsch«, versuchte er sie zu beruhigen. »Ich bin ja jetzt hier. Alles wird gut.« Er war zwar in keiner Weise von seinen Worten überzeugt, doch sie schien das nicht zu bemerken.
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