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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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    Das Archäologiezentrum der Universität Wien befand sich nicht im Hauptgebäude am Ring, sondern in einem schönen Altbau am Rand des Währinger Parks. Früher hatte das Gebäude einmal die Hochschule für Welthandel beherbergt, jetzt aber bot es den archäologischen Instituten ein Zuhause.
    Morell wollte sich im Institut für Ur- und Frühgeschichte, der Wirkungsstätte von Novak und Lorentz, ein bisschen umsehen. Sehr zu seinem Leidwesen befand sich das Institut im dritten Stock, und der Aufzug war ausschließlich den Uni-Angestellten vorbehalten – er war also wohl oder übel gezwungen, die Treppe zu nehmen.
    Oben angekommen, musste er sich schwitzend und keuchend hinsetzen und schwor sich, so bald wie möglich etwas für seine Kondition zu tun.
    Als er wieder zu Atem gekommen war, fing er an, sich unauffällig umzusehen: Langsam schlenderte er durch den Flur und kam gleich an einer polizeilich versiegelten Tür vorbei. Das übertrieben große Namensschild daran stellte unmissverständlich klar, dass es sich hierbei um das Büro des ermordeten Professors handelte. Morell hätte sich nur zu gerne den Tatort angesehen, aber selbst wenn er jemanden fand, der den passenden Schlüssel besaß, war immer noch die Versiegelung im Weg. Sie zu brechen, konnte er sich nicht erlauben, denn wenn Weber das erfuhr, würde er mit Freuden ein Disziplinarverfahren gegen ihn einleiten.
    Morells Blick fiel auf die Vitrinen an der gegenüberliegenden Wand, in denen einige Artefakte ausgestellt waren – Scherben, Töpfe und Steingeräte. Der Chefinspektor überlegte gerade, was an diesen Fundstücken wohl so spannend war, dass man ihnen sein gesamtes Berufsleben widmete, als hinter ihm eine Tür ins Schloss fiel. Erschrocken drehte er sich um und blickte direkt in das Gesicht des Weihnachtsmanns.
    Morell runzelte die Stirn, kniff die Augen zusammen und musterte Santa Claus: Er war ein wenig kleiner als er selbst, hatte einen prallen Kugelbauch, dichtes graues Haar, einen weißen Rauschebart und trug dazu auch noch einen knallroten Strickpulli. Es war schwer zu sagen, wie alt er wohl war. Die Farbe seiner Haare und die wettergegerbte Haut ließen auf einen Mann älteren Jahrgangs schließen. Die wachen, blauen Augen, die seinem Gesicht einen schelmischen Ausdruck verliehen, revidierten diesen Eindruck aber wieder.
    »Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken.« Die Stimme des Mannes war von einer Tiefe und Rauheit, wie sie normalerweise nur der jahrzehntelange Konsum von Whiskey und Zigaretten modellieren konnte – oder ein langes Leben im harten, eisigen Klima des Nordpols.
    »Ho-Ho-Ho«, nuschelte Morell und schielte zu der Tür, aus der der Mann soeben gekommen war. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie gleich wieder aufgegangen wäre und ein paar grünstrumpfige, spitzohrige Weihnachtselfen herausgehüpft kämen.
    »Was meinten Sie?«
    »Ach, nichts. Ich habe mir nur gerade diese Scherben angeschaut.« Morell deutete auf die Vitrine.
    »O ja.« Die Weihnachtsmann-Augen begannen zu leuchten. »Diese neolithischen Artefakte sind hochinteressant, nicht wahr?«
    Morell, der nicht die geringste Ahnung hatte, was ein neolithisches Artefakt war, wollte sich keine Blöße geben und nickte darum. »Arbeiten Sie hier am Institut?«, fragte er.
    »Ja, ich bin Professor Ernst Payer. Ich unterrichte hier. Und Sie? Sind Sie ein neuer Seniorstudent?«
    Morell verneinte lächelnd. »Ich bin Polizeibeamter und ermittle im Fall Novak.«
    »Verstehe.« Payer nickte andächtig und streichelte seinen Rauschebart. »Eine schreckliche Sache. Die gesamte archäologische Fachwelt ist erschüttert über das, was geschehen ist.«
    »Wirklich? Ich habe gehört, dass Herr Novak mit sehr vielen seiner Kollegen im Streit lag.«
    »Streit?« Payer winkte ab. »Wir wollen mal nicht übertreiben. Kleine akademische Dispute kommen in jeder Forschungseinrichtung vor. Eine Schande, dass Dr. Lorentz deswegen so durchgedreht ist. Er war ein sehr vielversprechender junger Kollege.« Er schüttelte den Kopf und kratzte sich am Kinn.
    »Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Lorentz derjenige war, der Professor Novak getötet hat.«
    »Nein?« Payer legte seinen Kopf schief und zog die rechte Augenbraue hoch. »Ihr Kollege, der mich gestern befragt hat, schien davon aber überzeugt zu sein.«
    Morell rollte mit den Augen. Weber, dieser Einfaltspinsel! »Diese Meinung hat sich aber nicht durchgesetzt«, grummelte er. »Wer außer Lorentz hatte

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