Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
Vom Netzwerk:
denn noch solche – wie nannten Sie sie doch gleich? Solche ›kleinen akademischen Dispute‹ mit dem Opfer?«
    »Da fragen Sie leider den Falschen. Professor Novak und Dr. Lorentz haben im Bereich Frühgeschichte geforscht. Ich dagegen bin ein waschechter Urgeschichtler.«
    »Interessant«, log der Chefinspektor.
    Payer überlegte. »Ihr Dialekt klingt nicht wienerisch. Darf ich fragen, woher Sie kommen, Herr …?«
    »Oh, wie unhöflich von mir. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Otto Morell.« Der Chefinspektor streckte dem Archäologen seine Hand hin.
    »Freut mich, Sie kennenzulernen.« Payers Händedruck war schwielig und kräftig. »Also, wo kommen Sie her, Herr Morell?«
    »Ich komme aus Landau, einem kleinen Ort in den Tiroler Bergen.«
    Payer nickte euphorisch. »Ich dachte mir schon so etwas. Tirol – was für ein wunderbarer Zufall. Ich habe nämlich gerade eine sehr interessante Publikation über die Speerspitzen aus Höhlenbärenknochen aus der Tischofer Höhle gelesen. Ich glaube, dass die Erforschung von Höhlenbärenjagdkulturen im Alpenraum – vor allem im Bereich Tirol – bisher viel zu sehr vernachlässigt wurde. Was meinen Sie?«
    Morell zuckte mit den Schultern. »Höhlenbären sind nicht wirklich mein Gebiet.«
    »Wissen Sie was? Es ist doch ziemlich ungemütlich, hier im Gang herumzustehen. Warum kommen Sie nicht auf einen Sprung mit in mein Büro – dort können wir uns in Ruhe unterhalten«, schlug Payer vor.
    »Warum nicht.« Morell hatte zwar nicht das geringste Interesse daran, etwas über Speerspitzen oder ausgestorbene Tiere zu lernen, aber vielleicht konnte er dem Professor unter diesem Vorwand doch noch die eine oder andere nützliche Information entlocken. Also folgte er dem bärtigen Archäologen in dessen Büro, das direkt neben dem des Ermordeten lag.
     
    Es gab nur ein Wort, mit dem man Payers Arbeitszimmer beschreiben konnte: Bücher. Noch nie in seinem Leben hatte Morell so viele Druckwerke auf so kleinem Raum gesehen. Sie waren einfach überall. Da die deckenhohen Regale, die die kompletten Wandflächen einnahmen und sogar über dem Rahmen einer Seitentür entlangliefen, aus allen Nähten platzten, lagen und standen die Bücher auch stapelweise auf dem Tisch, den Stühlen, den Fensterbänken und dem Boden. Morell musste wie ein Storch über mehrere Bücherhaufen steigen, bis er den ihm angebotenen Hocker erreichte.
    »Ich bin ein ziemlicher Bücherwurm«, sagte Payer und öffnete eine Schreibtischschublade.
    »Was Sie nicht sagen.« Dem Chefinspektor wurde beinahe schwindelig, als er sich vorzustellen versuchte, wie viele Milliarden von Buchstaben sich wohl in diesem Raum befanden.
    Payer zog zwei Schnapsgläser und eine Flasche ohne Etikett aus der Schublade und stellte sie feierlich auf den Tisch. »Marillenschnaps«, sagte er und lächelte verschwörerisch. »Selbst gebrannt. So was Feines gibt’s nirgends zu kaufen.«
    Morell schielte auf seine Uhr. Es war noch nicht einmal zehn. »Ich sollte lieber nicht …«, setzte er an, aber Payer hatte schon eingeschenkt.
    »Auf den alten Vitus Novak. Gott hab ihn selig.« Der Archäologe hob sein Glas und sah den Chefinspektor erwartungsvoll an.
    Morell wollte ihn nicht beleidigen und griff zum Schnapsglas. Ein kleiner Schluck Alkohol würde ihn schon nicht umbringen – immerhin hatte er ausgiebig gefrühstückt und darum eine gute Unterlage. »Auf Herrn Novak«, sagte er also, stieß an, kippte den Schnaps hinunter und erstarrte: Erst zogen sich sämtliche Poren seines Körpers zusammen, dann stellten sich alle Haare auf, und schließlich raste eine Hitzewelle wie eine Feuerwalze durch seinen Leib und trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Er konnte förmlich spüren, wie wichtige Gehirnzellen abstarben und sich sein IQ gerade um einige Punkte senkte. »Brrrrr.« Er schüttelte sich. »Der hat es aber in sich.«
    Payer nickte und strahlte. »Ich wusste, dass ein gestandenes Mannsbild wie Sie meinen Marillenen zu schätzen weiß.« Er griff nach der Flasche, und bevor Morell reagieren konnte, schenkte er nach. »Auf Dr. Lorentz – möge seine Unschuld bald bewiesen werden.« Er hob erneut das Glas.
    Morell schauderte und suchte fieberhaft nach einer Ausrede, damit er nicht noch einen Schluck von diesem Gebräu trinken musste. »Höhlenbären also«, lenkte er ab.
    »Ja.« Der Archäologe lächelte selig. »Die Urgeschichte ist ein wirklich spannendes Forschungsgebiet. Ein Skandal, dass die

Weitere Kostenlose Bücher