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Zu Hause in Almanya

Zu Hause in Almanya

Titel: Zu Hause in Almanya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aysegül Acevit
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wohnen, wenn sie eine eigene Wohnung hat. Sie setzt sich für die Jüngeren ein, nimmt sie in Schutz, ist Vermittlerin zwischen ihnen und den Älteren der Familie, und sie ist die, bei der sich eines Tages die Familie versammeln wird, wenn die Mutter nicht mehr lebt.
    Man kann auch viele Ablas haben, und jede Abla hat natürlich ihre eigene Art und ihren eigenen Charakter. Manche sind dickköpfig, manche herrschsüchtig, manche nützen die Jüngeren aus, manche sind sehr verständnisvoll und gutmütig, manche streng oder kühl. Für manche tut man gerne alles, von anderen hält man sich lieber fern. Manche halten mehr zu den Eltern, manche opfern sich für einen auf. Manche sind flippig und egoistisch, wollen vom Abla- Sein nichts wissen. Manche sind konservativ, manche modern, manche sind klug und großherzig und manche mischen sich ständig in alles ein. So wie ich in der U-Bahn.
    Als die nächste Haltestelle kam, stand ich auf. Auch die Jungs wollten losstürmen, und ich sagte: »Yava ş olun, gürültü yapmayýn. Macht langsam und keinen Lärm!« Der eine äffte mich nach und ich schmunzelte heimlich und ließ es mir nicht anmerken. Dieser kleine Frechdachs, dachte ich. Ich wandte mich zur Tür und auch die Jungen drängelten nach vorn, da hielt der alte Herr die Jungs zurück und sagte: »Önce Abla insin! Zuerst soll Abla aussteigen.« Und ich schritt wie eine U-Bahn-Königin durch die Tür.
    Es ist schade, wenn türkische Jugendliche und Eltern diese wunderbare Tradition verlernen und sich die Unsitte breitmacht, dass Jungen und Männer Narrenfreiheit gegenüber Mädchen und Frauen haben. Und es ist traurig, wenn wir unsere traditionelle Autorität nicht mehr pflegen und sie immer mehr in Vergessenheit gerät. Wir Türkinnen, die wir hier aufwachsen und gerne modern sein möchten, tun dies zunächst einmal nach der hiesigen Vorstellung von Weiblichkeit, mit der wir in Schule, Öffentlichkeit oder Medien aufwachsen und die wir erleben. Ablas gibt es darin nicht. Eine schöne weibliche Tradition geht so verloren, wenn man sie nicht bewusst weiterführt oder wenn man nicht zumindest manchmal in türkischen Läden einkaufen geht und mit einfachen, türkischen Menschen Kontakt hat. Denn Abla ist auch eine lockere, aber respektvolle Anrede für Mädchen und Frauen, wie ich kürzlich wieder erfahren durfte, als ich in einem türkischen Onkel-Ali-Laden Lebensmittel kaufen wollte. » Buyrun Abla, ne istersiniz ? Bitte schön, Abla , was wünschen Sie?«, sagte ein Verkäufer, der auch mein älterer Bruder hätte sein können, und ich schmunzelte und fühlte mich sehr geehrt bei dieser herzlichen Höflichkeit.
    Ältere Jungen und Männer nennt man übrigens Abi . Die haben auch viel Verantwortung und können viel für einen tun, aber sie dürfen nicht zuerst aus der Bahn aussteigen, sondern haben einer Dame den Vortritt zu lassen. Abi sein ist eine andere Geschichte.

Teil 2

Alles ändert sich
Deutschlandtürken von heute
    Eine Reise nach Istanbul
    Es gibt ein türkisches Sprichwort, das lautet: » Üzüm üzüme baka baka kararýr. « Man kann es praktisch nicht wörtlich übersetzen: Es geht darin um Weintrauben, die an den Sträuchern und Ranken dicht beieinander hängen. So nehmen sie mit der Zeit die gleiche Farbe an wie die Nachbartrauben, sagt jedenfalls das Sprichwort. Was hat das mit Menschen zu tun?
    Nichts anderes als dass wer immer mit bestimmten Menschen zusammen ist, ihnen mit der Zeit ähnlich wird. Wie viel Wahrheit in diesem Sprichwort steckt, wurde mir klar, als ich im vergangenen Jahr für längere Zeit nach Istanbul reiste. Immer, wenn ich mich in Deutschland unwohl fühlte, wenn ich dumme Sprüche über Ausländer hörte oder Klischees und Vorurteile, dann überkam mich ein unstillbarer Wunsch danach, in der Türkei zu leben, wie wenn man Heißhunger hat auf duftende Vanillewaffeln. Dann wollte ich dort leben und ein ganz normaler Mensch sein, wie alle anderen um mich herum auch.
    Schon bald nach meiner Ankunft in Istanbul lernte ich viele verschiedene Leute kennen. Musiker und Tänzerinnen, Lehrerinnen und Schüler, Studenten und Dozenten, Designer, Schiffskapitäne, Museumswächter, Köchinnen, Reporter, Katzenzüchter, Kindermädchen, Zirkusartisten und viele andere. Manchen begegnete ich nur kurz, mit manchen freundete ich mich an, und einige werde ich hoffentlich bald wieder sehen. Ich wurde zum Essen eingeladen, ging auf Feste und Partys, ich machte Interviews, nahm an Versammlungen teil,

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