Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
Abends von einem Ritt über Land heimgekehrt, rechtschaffen müde, aber bester Laune, da er den Tag so zugebracht hatte, wie er es liebte: in Gesellschaft von Freunden, die mit ihm nach Herkunft und Gesinnung übereinstimmten. Zwei von ihnen waren Fakihs und Hadith-Gelehrte wie er selber, und es bereitete ihm größtes Vergnügen, mit ihnen die Gedanken auszutauschen. Dieses Mal hatte es ein Streitgespräch gegeben über die Echtheit von Aussprüchen, die von dem Propheten (gesegnet sei er immerdar!) überliefert worden waren. Abu Hafs legte dabei einen strengeren Maßstab an als die meisten seiner Freunde, denn konnte man bestreiten, dass so mancher Eiferer dem Hochgelobten einen Ausspruch in den Mund gelegt hatte, nur um seine eigene Ansicht zu stützen? Abu Huraira zum Beispiel. Aber schweigen wir von diesem Gefährten des Propheten! Er, Abu Hafs, hielt ihn für unglaubwürdig, und es war ihm gelungen, mit so viel schlagkräftigen Beweisen gegen ihn anzutreten, dass selbst Dschafar, der ihn leidenschaftlich verteidigt hatte, zuletzt klein beigab. Abu Muhammed al-Bagi, der Dichter ihres Kreises, machte auch gleich aus dem Stegreif ein paar Verse, die Abu Hafs nicht wenig schmeichelten.
Heiter gestimmt und ehrlich müde - mit den besten Voraussetzungen also für einen gesunden Schlaf, hatte er sein Nachtlager aufgesucht, hatte sich still in seinen Kissen zurechtgelegt und die Augen geschlossen. Aber umsonst - der Schlaf mied ihn, und eine immer größere Erregung bemächtigte sich seiner.
War etwas geschehen? Hatte er etwas getan oder versäumt, was ihn dieses Gottesgeschenkes, mit dem Allah selbst das geringste seiner Geschöpfe segnet, unwürdig machte? Hatte er jemals Allahs Gebote missachtet?
Unrechtes Gut klebte nicht an seinen Händen. Hatte er nicht sogar seine einträgliche Stellung als Sekretär des Ministers aufgegeben, weil Zweifel in ihm aufstiegen, ob das Gold, womit sein Herr ihn belohnte, immer in erlaubter Weise erworben worden war? Gewiss, er hatte diesen Verdacht nicht geäußert (welcher Maus kann es wohl einfallen, am Barthaar eines Löwen zu zupfen?), hatte Boreihas Gesundheitszustand vorgeschützt - aber es hatte doch der Wahrheit entsprochen, dass seiner Gattin der Sommer im heißen Cordoba so schlecht bekam und er sie immer im Frühjahr nach Thorosch bringen, sich für Monate von ihr trennen musste! So war er in Ehren aus dem Dienst des Mächtigen geschieden, denn selbst wenn der Minister den wahren Grund seines Entschlusses erraten hätte, würde es ihm die Selbstachtung verboten haben, sich dieses einzugestehen. Im Gegenteil, er musste ihn mit Gunstbezeigungen entlassen, und die bestanden darin, dass er den Ruf Abu Hafs als Hadith-Gelehrten recht eigentlich begründete. Denn wo immer ihm ein schwieriger Rechtsfall zu Ohren kam, den ein Kadi nicht allein entscheiden wollte, schlug der Minister seinen ehemaligen Sekretär als Autorität auf dem Gebiete vor. »Ich kenne keinen Fakih«, pflegte er zu sagen, »der ein umfangreicheres Wissen hat als Abu Hafs. Er hat den berühmten Ahmad ben Halid zum Lehrer gehabt, er hat die Überlieferungen von Grund auf studiert. Bittet ihn um eine Fetwa.«
So trat man bald von allen Seiten um Rechtsgutachten an ihn herein. Hatte er sich dabei etwas zuschulden kommen lassen? Hatte er sich jemals vom Ansehen einer Person leiten lassen statt von der Sache, die zu beurteilen war? Nicht im Gegenteil sogar seinen Bruder vor den Kopf gestoßen, weil er sich geweigert hatte, ihm in einer zweifelhaften Rechtslage beizustehen? Und Abu Haukal trug ihm das sicherlich nach bis zu dieser Stunde, obwohl er es sich nicht anmerken ließ.
Schon warf der abnehmende Mond sein fahles Licht durch die schmalen Fenster. Abu Hafs wandte sich der Gattin zu und betrachtete sie: ihr von langen schwarzen Zöpfen umrahmtes Gesicht, nicht mehr jung, nicht mehr schön, zu viele Fältchen unter den Augen, zu scharf hervorstehend Nase und Kinn - und dennoch rührend in der Gelöstheit des Schlafes.
Zärtlichkeit erfüllte ihn. Allah muss die Frauen mehr geliebt haben als die Männer, dachte er, da er ihnen ein so schönes Los bestimmt hat. Welche Fülle von Geboten haben wir zu beachten und müssen für ihre Auslegung Rechenschaft ablegen am Jüngsten Tage! Fein wie ein Haar ist die Brücke, die über den Höllenabgrund führt - ein einziger falscher Tritt, und wir stürzen in den Rachen des Scheitans.
Wie leicht kann sich demgegenüber jede Frau vor dem ewigen Feuer bewahren! Nichts
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