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Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Titel: Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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darüber hinwegkommen.
    »Das kommt bei allen Paaren mal vor«, sagte Maggie.
    Da klingelte das Telefon, und Maggie ging ran.
    »Ja. Es geht ihr gut. Sie musste bloß ein Stück laufen, um etwas aus dem Kopf zu kriegen. Schön. In Ordnung, dann bringe ich sie morgen früh nach Hause. Nein, das macht keine Mühe. In Ordnung. Gute Nacht.«
    »Das war er«, sagte sie. »Sie haben es ja wohl mitgekriegt.«
    »Wie hat er sich angehört? Hat er sich normal angehört?«
    Maggie lachte. »Ich weiß doch gar nicht, wie er sich anhört, wenn er normal ist. Er hat sich nicht betrunken angehört.«
    »Er trinkt auch nicht. Wir haben nicht mal Kaffee im Haus.«
    »Möchten Sie einen Toast?«
     
    Früh am Morgen fuhr Maggie sie nach Hause. Maggies Mann war noch nicht zur Arbeit aufgebrochen und blieb bei den Jungen.
    Maggie hatte es eilig, wieder nach Hause zu kommen, also sagte sie nur: »Dann tschüss. Rufen Sie mich an, wenn Sie reden wollen«, als sie mit dem Kleinbus auf dem Hof wendete.
    Es war ein kalter Morgen im Vorfrühling, auf dem Boden lag noch Schnee, aber Lloyd saß ohne Jacke auf den Türstufen.
    »Guten Morgen«, sagte er mit lauter, sarkastischer, höflicher Stimme. Und sie sagte auch guten Morgen, mit einer Stimme, die so tat, als habe sie seine nicht wahrgenommen.
    Er rückte nicht zur Seite, um sie die Stufen hochzulassen.
    »Du kannst da nicht rein«, sagte er.
    Sie beschloss, das auf die leichte Schulter zu nehmen.
    »Nicht mal, wenn ich bitte sage? Bitte.«
    Er sah sie an, antwortete aber nicht. Er lächelte mit geschlossenem Mund.
    »Lloyd?«, fragte sie. »Lloyd?«
    »Geh lieber nicht rein.«
    »Ich hab ihr nichts gesagt, Lloyd. Es tut mir leid, dass ich weggelaufen bin. Ich brauchte wahrscheinlich einfach Luft zum Atmen.«
    »Geh nicht rein.«
    »Was ist denn mit dir los? Wo sind die Kinder?«
    Er schüttelte den Kopf, wie er es tat, wenn sie etwas sagte, was er nicht gerne hörte. Etwas ein bisschen Ungehöriges wie »Scheißmist«.
    »Lloyd! Wo sind die Kinder?«
    Er rückte ein wenig, damit sie vorbeikonnte, wenn sie wollte.
    Dimitri noch in seiner Wiege, auf der Seite liegend. Barbara Ann auf dem Boden neben ihrem Bett, als sei sie aufgestanden oder herausgeholt worden. Sasha an der Küchentür – er hatte versucht, wegzulaufen. Er war der einzige mit blauen Flecken an der Kehle. Für die anderen hatte ein Kissen genügt.
    »Als ich gestern Abend anrief, ja?«, sagte Lloyd. »Als ich anrief, war es schon passiert.«
    »Du hast dir das alles selbst zuzuschreiben«, sagte er.
     
    Das Urteil lautete, dass er geisteskrank und nicht schuldfähig sei. Geisteskrank und gemeingefährlich – so dass er in einer geschlossenen Anstalt untergebracht werden musste.
    Doree war aus dem Haus gerannt und im Hof herumgetaumelt, die Arme fest vor dem Bauch verschränkt, als sei sie aufgeschnitten worden und müsse alles zusammenhalten. Das war die Szene, die Maggie sah, als sie zurückkam. Sie hatte eine Vorahnung gehabt und auf der Straße kehrtgemacht. Ihr erster Gedanke war, dass Doree von ihrem Mann einen Schlag oder einen Fußtritt in den Bauch erhalten hatte. Mit den Lauten, die Doree von sich gab, konnte sie nichts anfangen. Aber Lloyd, der immer noch auf den Stufen saß, rückte höflich für sie beiseite, ohne ein Wort, und sie ging ins Haus und fand das, was sie inzwischen nicht anders erwartete. Sie rief die Polizei.
    Eine Zeitlang stopfte sich Doree alles in den Mund, was sie zu fassen bekam. Nach der Erde und dem Gras waren es Laken oder Handtücher oder ihre eigene Kleidung. Als versuche sie, nicht nur die Schreie zu ersticken, die in ihr aufstiegen, sondern auch die Szene in ihrem Kopf. Sie bekam regelmäßig eine Spritze mit etwas, um sie ruhigzustellen, und das wirkte. Sie wurde sogar sehr ruhig, wenn auch nicht katatonisch. Es hieß, sie sei stabilisiert. Als sie aus der Klinik entlassen wurde, brachte eine Sozialarbeiterin sie an diesen neuen Ort, und dann übernahm Mrs Sands, besorgte ihr eine Wohnung, besorgte ihr einen Arbeitsplatz und machte es zur Regel, sich einmal in der Woche mit ihr zu unterhalten. Maggie wäre gekommen, um sie zu besuchen, aber sie war die einzige Person, deren Anblick Doree nicht ertragen konnte. Mrs Sands sagte, dieses Gefühl sei ganz natürlich – das sei die gedankliche Verbindung. Sie sagte, Maggie werde das verstehen.
    Mrs Sands sagte, es sei Dorees Entscheidung, Lloyd weiterhin zu besuchen oder nicht. »Wissen Sie, ich bin nicht hier, um das zu billigen

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