Zuckerleben: Roman (German Edition)
Und zuerst wollte Roma da nicht hingehen, verständlich, denn es war seit einigen Jahren Krieg mit Afghanistan … Nach einer schriftlichen Mahnung, die Roma in seinem jugendlichen Übermut ignoriert hat, haben sie ihn dann zur Musterung abgeholt, mit der Miliz. Da konnte Roma dann nichts mehr machen, er musste zur Armeebehörde mitkommen. Dort hat er alle Tests bestanden und ist aufgefordert worden, seinen Armeedienst zu leisten und dafür ein paar Dokumente zu unterschreiben. Und Roma, schlau wie er ist, zeigt ihnen seinen MGU -Immatrikulationsschein und verkündet der Woenkomat - Kommission, dass er als überzeugter Pazifist eine tiefe Abneigung gegenüber Waffen verspüre und außerdem bereits an der MGU eingeschrieben sei, wo er für ein Geschichtsstudium zugelassen worden sei. Die Militärs haben sich dann auf Romas Kosten amüsiert. Und gelacht, über Romas MGU -Geschichtsstudium. So ein alter Unteroffizier von der Kommission trommelt dann mit seiner Füllfeder auf der Tischplatte, hält Flocosu die Feder entgegen und gibt ihm folgenden Rat: ›Unterschreib hier, Junge. Verarsch uns nicht mit deiner Pazifistenmasche – ich hab da in Prag ärgere Pazifisten als dich umerzogen, als du da noch am Nippel deiner Mutter herumgezuzelt und deine Windeln warmgepisst hast! Drum. Unterschreib hier, solang ich’s dir noch im Guten sage. Du machst deinen Militärdienst wie alle anderen, wirst ein richtiger Mann – die Armee wird dich schon erziehen, Junge – das versprech ich dir! Und dann, dann kannst du dir noch was G’scheites überlegen für danach, für die Zukunft. Weil mit deinem komischen Geschichtsstudium, was versprichst du dir davon? Von Kolchose zu Kolchose zu ziehen und als ewig hungriger Historiker um eine Rinde Brot für 2 Kopeken zu betteln?‹ Und gelacht haben sie dann im Woenkomat! Die Militärs haben gelacht. Und die anderen Achtzehnjährigen, die auch zur Musterung gekommen waren und in der Schlange hinter Roma Flocosu warteten, auch. Und Roma, der hat einfach gewartet, bis sich alle wieder beruhigt und aufmerksam in seine Richtung geschaut haben, neugierig darauf, was nun passieren würde. Und hat dann den Zettel in die Hand genommen und angefangen, ihn in Stücke zu zerreißen. Und während die Papierschnitzel wie kleine Hubschrauber auf den billigen grünen Woenkomat-Teppichbelag runterpurzeln und während die Typen von der Kommission ihn mit ihren Blicken durchstechen, als wäre Roma ein Stück Schmelzkäse der Sorte Freundschaft, nimmt er die Füllfeder des alten Unteroffiziers, öffnet ihren Deckel, pflanzt sie wie einen Spieß in die Spannholz-Tischplatte der Kommission hinein, dass Tintenspritzer in alle Richtungen fliegen. Und Roma steht da, aufrecht wie ein Falkenmeister, und verkündet den Typen von der Kommission:
›Besser ewig hungriger Historiker, als grün und halb verwest und aufgedunsen in einem Zinnsarg aus Afghanistan angeliefert zu werden!‹ Und aus. Da hat keiner mehr gelacht. Weil, allein in dem Jahr sind an die zweitausend solcher Zinnsärge aus Afghanistan eingeflogen … Na ja. Roma hat den alten Unteroffizier noch darauf hingewiesen, dass seine Füllfeder defekt sei, hat sich umgedreht und ist rausgegangen. Roma ist später von einem Amtsarzt als für den Militärdienst untauglich befunden und vom Woenkomat entlassen worden. Über diesen Zwischenfall hat man damals viel geredet in Dondușeni. So, wie das halt so ist … Und aus Roma Flocosu ist der ›Ewig Hungrige Historiker Roma Flocosu‹ geworden.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Roma? Der hat sich entschuldigen lassen. Er hilft Ilytsch beim Abtransport von Hlebnik in die Zuckerfabrik«, erklärt Tutunaru der Italienischlehrerin und fragt sich beunruhigt, ob der Bulibascha von Otaci überhaupt noch vorhat zu kommen.
Stille.
Genau fünfzehn Minuten später erklingt ein insistentes Klopfen an der Tür zu Hlebniks Datscha-Arbeitszimmer. Langsam wird ein Stechkarren mit drei Chiquita-Bananen-Kisten hereingeschoben. Unmittelbar dahinter tauchen drei Personen im Raum auf: der Roma Nichifor der Reine in Weiß, der den Stechkarren manövriert, Mihailytsch der Major und dahinter der unausgeschlafene Bulibascha von Otaci, Tudorel-Deomid Balmus höchstpersönlich.
14:32
»Was soll das eigentlich sein?«, wundert sich Pitirim Tutunaru und fährt mit den Fingerkuppen über einen der Goldbarren, die à 1 kg das Stück auf dem Arbeitstisch vor ihm liegen. Der Dondușenier Spekulant nimmt einen anderen Barren zur Hand. Auf
Weitere Kostenlose Bücher