Zuckerleben: Roman (German Edition)
dick gepolsterten Tür mit einem Panzerglas-Guckloch bleibt der Bulibascha stehen. Zu Kolja, der seine Schuhspitzen der Größe 48 zum Flur hin repositioniert und seine Uzi bequemer unter den Arm nimmt, sagt Balmus:
»Kolja, du bleibst hier stehen und lässt niemanden rein. Ich wiederhole: niemanden. Wenn Nichifor mit den Chiquita-Bananen-Kisten, der Watte und dem Stechkarren auftaucht, sagst du ihm, er soll draußen auf mich warten, und funkst mich dreimal kurz auf meiner Frequenz an. Klar?«
Kolja nickt.
Der Bulibascha geht hinein. Und macht die Tür hinter sich zu.
Notlösung
Aus einem zugemauerten Hohlraum im Ofen zieht der Bulibascha Goldbarren heraus und bettet sie vorsichtig in die mit Watte präparierten Bananenkisten: 62 Stück, jeder Barren genau ein Kilogramm schwer. In die letzte Kiste legt der Otacier Roma 22 Goldbarren hinein, macht sie sorgfältig zu und verklebt sie mit Klebeband. Als Tudorel-Deomid fertig ist, holt er Nichifor den Reinen mit dem Stechkarren herein und fordert ihn auf, die Kisten aufzuladen und in seinen Wagen hinunterzubringen.
Der Reine plagt sich mit dem Gewicht der Fracht.
»Was ist da drinnen, Bulibascha? Steine oder so was?«
Dazu Tudorel-Deomid trocken:
»62 Kilogramm Gold.«
Nichifor der Reine lacht, erkundigt sich erneut nach dem Wohlbefinden seines Onkels und fährt mit dem Stechkarren hinaus.
Als er wieder allein ist, holt der Bulibascha einen zusammengefalteten Zettel hervor, auf dem mit ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben die Forderungen des Helden der sozialistischen Arbeit Wladimir Pawlowitsch Pușcaș und des Dondușenier Schwarzmarktspekulanten Pitirim Tutunaru an ihn festgehalten sind, über die sich der Bulibascha von Otaci vor vier Tagen noch sehr köstlich amüsiert hat. Nun ist aber alles anders, ihm ist nicht mehr nach Lachen zumute. Balmus faltet das Blatt Papier wieder und steckt es ein. Er wirft einen Blick auf seine Uhr: fünf Stunden bis zum Treffen in der Zuckerfabrik von Dondușeni.
Und verlässt den Raum.
TICKENDE ÜBERGABEN ODER: BEI KANDAHĀR WAR’S KRASSER!
1991. DONDUȘENI, REPUBLIK MOLDOVA
14:05
In Hlebniks Datscha, im Arbeitszimmer des verstorbenen Zuckerfabrikdirektors, sitzen Pitirim Tutunaru, die Italienischlehrerin Nadja Pilipciuc und Vadim der Maler. Die drei Moldawier sind guter Laune: Ilytsch ist soeben die Zuckerfabrik von Dondușeni und Hlebniks Datscha restituiert worden, was noch dazu mit einer offiziellen, notariell beglaubigten Schenkungsurkunde der frisch gebackenen Republik Moldova besiegelt wurde. Ilytschs Samagon-Garde hat wieder ihre Posten bezogen, und Vadims Bilder sind ebenfalls bereits zurückerstattet worden. Und auch Hlebnik im Alkoholtank ist in die Zuckerfabrik, namentlich in die Abfüllhalle 2 des Werkes, eingekehrt – er hatte dem Medium Lidia Iwanowna sein Einverständnis gegeben, auf Ilytschs Vorschlag, dem Direktor im Samagon-Tank in der Zuckerfabrik von Dondușeni ein Mausoleum einzurichten, in Isidoras Schoß. So, hatte Ilytsch argumentiert, würde der Direktor inmitten seines Lebenswerkes seine ewige Ruhe finden und von seinem durchsichtigen 1500-Liter-Samagon-Tank auf Isidoras Schoß aus stets am Geschehen in der Fabrik beteiligt sein. Und andererseits könnten so auch die Lebenden stets optisch und physisch dem Schnapsbrenn-Visionär Wadim Wladimirowitsch Hlebnik nahe sein. Das sei auf jeden Fall lohnender, hatte Ilytsch Lidia Iwanowna gegenüber insistiert, als auf dem Dondușenier Friedhof begraben zu werden und dort visionslos vor sich hin zu verwesen. Tutunaru entstaubt das Foto mit dem Zuckerfabrikdirektor vor der Kreml-Kantine, Granowski-Straße 2, wirft einen Blick auf den Direktor und legt das Foto wieder auf seinen Stammplatz links neben der kleinen Lenin-Büste.
»Der Bulibascha verspätet sich«, reflektiert Pitirim und fragt sich, ob Tudorel-Deomid es sich doch anders überlegt haben könnte. Pitirim spürt, wie Nadja ihre Hand auf seinen Arm legt und leise »Pitirim …« ruft. Tutunaru streichelt die Hand der Italienischlehrerin und richtet seine Aufmerksamkeit auf Nadja Pilipciuc.
»Ja?«
»Warum nennt ihr den Roma Flocosu eigentlich immer ›den Ewig Hungrigen Historiker?‹«
»So hat ihn eigentlich das Woenkomat getauft, die sowjetische Armeebehörde. Wir haben den Namen übernommen«, kommt Vadim Tutunarus Antwort zuvor und lächelt.
»Wie das?«
»Ganz einfach. Als Roma achtzehn wurde, haben sie ihn hier in unser DondușenierWoenkomat gerufen, zur Musterung.
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