Zuckerpüppchen - Was danach geschah
Idee”, murmelte Gaby halblaut. “Was sagst du da?” Jean sah sie aufmerksam an. “Du wirst doch nicht depressiv, weil es wieder schief gegangen ist? Da sind doch noch andere Dinge auf der Welt, als Kinder zu kriegen. Und ihr habt doch schon Daniel zusammen.” — “Es ist wegen Hubert.” Gaby war furchtbar müde. Sie mußte Eisenpräparate schlucken, und trotzdem kostete sie jede Handbewegung unsagbar viel Mühe. “Er will partout noch ein Kind.”
Sie sah hinaus in den Garten. Daniel und Manfred rollten sich auf dem Rasen wie zwei junge Hunde hin und her. Natalie saß mit angezogenen Knien im Schatten der Scheune und las in einem Buch. “Du kannst mir glauben, mir langen meine drei. Aber wenn er doch so gerne noch eins möchte? Ich kann doch nicht ‘nein’ sagen!” — “Und wieso nicht?” Jean sah sie kopfschüttelnd an. “Tut mir leid, Gaby, aber du selbst zählst doch auch noch! Was du willst und vielleicht auch, was du kannst. Weißt du das überhaupt?” Gaby dachte über Jeans letzten Satz nach. Wußte sie, was sie wollte? Sie wollte Hubert glücklich machen. Er wollte gerne noch ein Kind, also wollte sie auch eins. Sie mußte einfach noch ein Kind bekommen. Sonst war Hubert vielleicht enttäuscht von ihr. Und was würde er tun, wenn er von ihr enttäuscht war? Daran durfte sie nicht denken... Ob sie es konnte? Ach, man kann viel, wenn man will — und muß.
Dr. Wierda hatte Hubert die Anschrift des berühmtesten Frauenarztes der Niederlande gegeben. Den Frauenarzt der holländischen Prinzessinnen. “Wenn Ihnen einer helfen kann, dann Professor de Ruiter. Er hat gerade über Grund und Ursachen von Fehlgeburten ein Buch veröffentlicht. Er ist die Kapazität in den Niederlanden.”
“Darüber zerbrechen wir uns dann nach den Ferien den Kopf’, hatte Hubert ihre Bedenken weggewischt. “Jetzt werden wir uns erst einmal ordentlich erholen. Vier Wochen in der Provence werden uns wieder auf Vordermann bringen.” — “Ja”, sagte Gaby dankbar. “Du hast ja recht. Jetzt fahren wir erst einmal in Urlaub.” Manche Menschen verunglückten auf dem Weg in die Ferien. Oder ertranken. Öderes geschah sonst etwas. Warum sollte sie sich den Kopf zerbrechen. Hubert wußte schon, was gut für sie war.
Seit Jahren hatte Gaby nicht mehr von ihrer Mutter geträumt, wieso jetzt?
Mutti lag im Krankenhaus. Sie war Mitte Sechzig, so alt, wie sie heute sein würde, wenn sie nicht schon vor beinahe fünfzehn Jahren gestorben wäre. Gaby besuchte sie und war erschrocken über ihre Zerbrechlichkeit. Dünne, weiße Haare, müde Augen, eine faltige Haut. Sie wußte, sie hatte noch einmal die Chance, mit ihr zu reden. Ganz vorsichtig nahm sie Muttis altes Gesicht in ihre Hände. “Du mußt mir endlich zuhören”, sagte sie eindringlich, “einmal im Leben mußt du mir zuhören: Dein Mann hat mich hunderte Male vergewaltigt.” Mutti versuchte, den Kopf zur Seite zu drehen, aber Gaby hielt ihn fest. “Du darfst nicht wieder wegsehen. Bitte, sieh mich an.” Doch Mutti schloß die Augen. “Bitte”, sagte sie, “du mußt es glauben. Alle wissen es. Nur meine beiden Jüngsten nicht. Die sind noch zu klein.” Gaby fühlte, wie Mutti unter ihren Händen Kraft sammelte und sich gerade machte. “Nein”, sagte sie, und etwas Schreckliches geschah, es war nicht ihre Stimme, es war die Gabys, “mein Mann würde so etwas nie tun. Er ist ein guter Mann. Er liebt mich. Er würde mir nie Gewalt antun.”
Gaby wurde wach von ihrer Stimme. “Nie”, flüsterte sie, “nie.” Sie fühlte den Schweiß auf ihrer Stirn, ihre klammen Hände. Sie knipste das Licht an, nahm die vertrauten Dinge um sich herum auf. Es war ein Traum. Hubert drehte sich unwillig um, zog die Decke über sein Gesicht. Ein Traum. Mutti war schon lange tot.
Sie stand auf, ging nach unten in die Küche, um sich ein Glas Milch zu wärmen. Warum verschmolzen sie im Traum zu einer Person? Hubert ähnelte in nichts Pappi. Gewalt verabscheute er. Er konnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Und wieso hatte sie, Gaby, gesagt: Alle wissen es, nur meine beiden Jüngsten nicht? Niemand wußte es. Und wieso ihre beiden Jüngsten? Würde sie doch noch ein Kind bekommen? Gab es Träume, die in die Zukunft sahen? Mit langsamen Schlucken trank sie die warme Milch. Warum maß sie diesem Traum Bedeutung zu? “Träume sind Schäume”, sagte Hubert, wenn sie wieder schreiend aus einem ihrer Angstträume in die Höhe fuhr.
Niemand hatte je versucht, ihr Hände
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