GK446 - Der Geisterhenker
Susan Myers saß in einer Ecke des Zimmers auf dem Boden und klapperte mit den Zähnen.
Gott, diese Entzugserscheinungen waren die Hölle.
Ihre Eingeweide brannten wie Feuer. Sie hatte furchtbare Schmerzen. Durst quälte sie. Ihr war heiß und kalt zugleich. Sie weinte und versuchte gegen die Schmerzen anzukämpfen. Und wieder einmal fragte sie sich, wie es mit ihr so weit hatte kommen können. Sie stammte aus gutem Hause. Ihr Vater leitete eine Bank, die Mutter war Vorsitzende zahlreicher Kommitees.
Die Wurzel des Übels lag wohl darin, daß beide zuwenig Zeit für ihr Kind gehabt hatten. Sie hatten sich kaum um Susan gekümmert. Das labile Mädchen war sich viele Stunden am Tage selbst überlassen gewesen, und sie hatte aus Langeweile und Neugier Bekanntschaft mit dem Heroin gemacht.
Der erste Schuß schon hatte sie süchtig gemacht. Sie hatte sich danach so wundervoll gefühlt, daß sie sich schon am nächsten Tag erneut nach diesem Gefühl sehnte. Das Rauschgift ließ sie vergessen, daß ihre Eltern sie vernachlässigten. Sie hatte jemand kennengelernt, der ihr den Stoff billig besorgte. Ronald Farradine war sein Name.
Als sie seine Bekanntschaft machte, war sie siebzehn.
Heute war sie achtzehn und ein Wrack. Sie lebte nicht mehr bei ihren Eltern, sondern war zu Farradine gezogen. Für ihren Vater war sie gestorben. Er hatte sie hinausgeworfen, als er dahinterkam, daß sie drückte. Ihr Name durfte in seinem Haus nicht mehr genannt werden. Und wenn er doch einmal fiel, brach ihre Mutter in Tränen aus.
Zu einer Umkehr war es für Susan Myers zu spät. Sie wußte, daß sie es niemals geschafft hätte, vom Stoff loszukommen. Selbst eine langwierige Entziehungskur hätte nicht gefruchtet. Susan wäre auf jeden Fall rückfällig geworden. Wozu also die Martern auf sich nehmen?
Ihr war klar, daß sie am Heroin eines Tages zugrunde gehen würde, aber es war ihr egal. Vielleicht hätte sie sich eine Uberdosis gespritzt, um dem allem ein Ende zu bereiten, aber dazu fehlte ihr der Mut. Sie konnte nur hoffen, daß sie sich irgendwann einmal dazu aufraffen würde.
Schluchzend schlug sie die Hände vors Gesicht. »Mein Gott, ich halte das nicht mehr aus!«
Sie war ein schönes Mädchen gewesen. Mit strahlendblauen Augen, einer weichen Pfirsichhaut und duftigem Blondhaar. So hatte sie ausgesehen, bevor sie sich zum erstenmal die Kanüle in die Vene geschoben hatte. Auch kurze Zeit danach hatte sie noch so ausgesehen.
Heute sah sie zum Herzerweichen aus. Ihr Blick war stumpf, die Haut grau und unansehnlich. Sie war fast bis zum Skelett abgemagert und hatte dunkle Schatten im Gesicht. Das Haar war strähnig geworden und klebte jetzt an ihren schweißnassen Wangen.
Verzweifelt hob sie den Kopf. »Ronald! Ich bitte dich, hilf mir!«
Ronald Farradine hob bedauernd die Schultern. Ihm ging es selbst nicht viel besser als Susan. Er war ein großer, schlanker Bursche mit rotblondem Haar. Bis zum heutigen Tag hatten sie es immer wieder irgendwie geschafft, an neuen Stoff zu gelangen.
Der Dealer, den sie gut kannten, hatte ihnen das Zeug, wenn es für sie besonders kritisch gewesen war, auch mal gepumpt. Aber diesen Dealer gab es nicht mehr. Er hatte Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt. Dummerweise hatte er zum Revolver gegriffen. Das hatte er nicht überlebt. Die Polizisten waren schneller gewesen, und er war im Kugelhagel gestorben.
Andere Dealer borgten nichts. Nirgendwo sonst hatten Susan Myers und Ronald Farradine Kredit. Es war zum Verzweifeln.
»Wie soll ich dir helfen, Sue«, sagte Ronald Farradine bedauernd. »Wie denn?«
Susan quälte sich umständlich hoch. Ihre Knie schlotterten. Sie strich über ihr schmuddeliges Kleid. Ein Bild des Jammers bot sie. An der Wand entlang versuchte sie zur Tür zu gelangen. Wie eine alte Frau schleppte sie sich dahin.
»Was hast du vor?« fragte Farradine. »Wohin willst du?«
»Ich muß Geld beschaffen. Ich gehe auf die Straße.«
Farradine schüttelte den Kopf. »Sieh dich doch an, Sue. An dir ist nichts mehr dran. Was willst du denn noch verkaufen? Kein Mann will dich mehr haben.«
»Ich werde einen finden. Ich muß einen finden, der mich ein paar Pfund verdienen läßt.«
»Wenn du in diesem Zustand auf die Straße gehst, kassieren dich die Bullen. Dann bist du ganz beschissen dran, denn im Knast gibt es garantiert keinen Stoff.«
»Gibt es denn hier welchen?« schrie Susan.
»Du weißt, daß Humphrey Cord für uns unterwegs ist. Er kennt eine Menge Leute. Wenn
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