Zuckerpüppchen - Was danach geschah
Mitgefühl. “Meine liebe Frau Gerken, was Sie auch anstellen würden, Sie sind und bleiben nur eine Frau. Ihr Mann sucht viele Frauen. Wenn er mit einer Frau wie mit Ihrer Freundin verheiratet gewesen wäre, hätte er sich wahrscheinlich eine Freundin Ihres Kalibers gesucht. Bei einer Freundin kann er auch reden, sein Herz öffnen. Warum dort und nicht zu Hause? Bei Freundinnen geht er wieder weg, das ist lange nicht so bedrohend, wenn er sich dort öffnet. Zu Hause würde er das nicht tun. Da wacht er jeden Morgen wieder auf, da sieht er Tag für Tag in den Spiegel, da wird die emotionale Nähe zur Gefahr. Ihr Mann ist ein Flüchter, einer, der einerseits die Verantwortung sucht, die Liebe und Geborgenheit, und wenn er sie hat, dann engt sie ihn ein, dann nimmt sie ihm den Atem, dann flüchtet ein Teil von ihm. So wie er während Ihrer Ehe zu Ihrer Freundin, zu den anderen Frauen geflüchtet ist.” Verblüfft sah Gaby den Therapeuten an. Warum hatte er nie so geredet, als Hubert noch dabei war? Warum hatte er sie in die Rolle der fordernden, leidenden Ehefrau gedrängt? Warum hatte er nie die Spur eines Gefühls gezeigt?
“Nur so gab es überhaupt eine Möglichkeit, zusammen mit Ihrem Mann zu einem Ergebnis zu kommen. Ihr Mann ist der Schwächere, ich mußte ihn schützen.” — “Vor mir?” brauste Gaby auf. “Auch”, bestätigte er ihr. “Sie hatten ihn in die Enge getrieben. Sie waren bereit, ihm zu vergeben, weiterzumachen. Nur nicht so, wie früher, nein, ehrlich, als gleichwertige Partner. Damit hatte er nicht gerechnet. Und dazu war er nicht in der Lage. Ich hatte gehofft, er würde durchhalten, aber er hat Angst vor einer Therapie. Sie ist ihm zu konfrontierend.” — “Das klingt, als wenn Sie Mitleid mit ihm hätten. Aber Tatsache ist, daß meine Kinder und ich verzweifelt sind. Er ist gegangen. Er wählt die Freiheit. Wir hatten keine Stimme. Niemand hat uns gefragt, was wir wollen. Ihm geht es gut. Er hat seine Freiheit. Er genießt sie schon jetzt.” Bitter dachte sie an die Nachbarin, die ihr zwei Tage, nachdem er weg war, erzählt hatte, daß sie Hubert in der Stadt gesehen hatte. “Die junge Frau an seiner Seite, ist das auch eine gemeinsame Freundin von Ihnen?”
“Er genießt es jetzt, auf seine Art. So, wie er das Leben immer genossen hat. Warten Sie einmal ab. Und ich sage das ohne Häme, warten Sie ab, wer auf die Dauer das Leben wieder genießen kann. Sie werden aus diesem Tal emporklettern, davon bin ich überzeugt. Aber Ihr Mann kann nicht ein Leben lang flüchten.”
Doch auch Gaby konnte nicht mehr flüchten, nicht mehr flüchten vor der Wahrheit: Ihr Mann hatte sie verlassen. Monatelang klammerte sie sich im tiefsten Schmerz an die Hoffnung: Er kommt zurück. Er braucht mich doch auch, ich bin doch seine Traumfrau, seine Geliebte, seine wunderbare, einzige Frau, die ihn so glücklich machen kann. Alles seine Worte. Bei allem was sie tat, fühlte, dachte, wurde ihr Tun und Lassen nur von einem Gedanken beherrscht: Er kommt zurück. Sie telefonierte mit seiner Mutter, bat sie um ihre Fürsprache. “Für dich”, sagte seine Mutter, “nie! Du hast Schande über unsere Familie gebracht. Du hast dieses Buch geschrieben.” Sie legte auf.
“Ich habe einen Schlußstrich gezogen”, sagte er eiskalt am Telefon. “Mit dem Buch hat das nichts zu tun. Nur mit dir.”
Die Hoffnung sank in sich zusammen.
Dann stand er eines Morgens überraschend vor der Tür, sie war noch im Bademantel. “Ich will etwas für die Kinder abgeben.” Er lächelte sie strahlend an, hauchte ihr einen seiner Küsse zu, sie fühlte, sie hätte nur die Hand ausstrecken müssen, und er wäre geblieben. Aber sie tat es nicht. Er sollte die Hand ausstrecken. Das konnte er nicht.
Alex mußte in eine Spieltherapie. Sein Lehrer machte sich Sorgen um ihn, bestätigte ihre eigenen Ängste. “Der Junge spielt nicht mehr, sitzt nur da und starrt vor sich hin.” Zu Hause hatte er alle Spielsachen in Kartons und Schachteln geräumt. “Ich will nie wieder spielen. Spielen ist nur etwas für Kinder.” Wollte er kein Kind mehr sein? Weil Kinder den Erwachsenen und ihrer Willkür ausgeliefert sind?
“Er hat Angst, daß er zu seinem Vater muß”, erklärte ihr Alex’ Therapeutin. “Er ist böse auf ihn. Er will ihn nicht sehen. Und er muß lernen, daß er das Recht hat, böse zu sein, sich seinem Vater zu verweigern. Er denkt, er zählt nicht, er müsse tun, was die Großen wollen. Bestärken Sie ihn
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