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Zugzwang

Zugzwang

Titel: Zugzwang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erwin Kohl
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fehle es an Autorität, um die ganz große Karriere zu machen. Man müsse stets die nötige Distanz und angemessenen Respekt bewahren, teilte sein Vorgesetzter ihm mit. Dabei war er es, der dem Hauptkommissar Joshua Trempe zu seiner Beförderung das Du anbot.
    Joshua betrachtete eingehend den Toten. Er lag auf der linken Seite, seine Beine waren leicht angewinkelt. Er trug einen schwarzen Anzug. Joshua konnte seine Schuhe nicht mehr sehen. Knöcheltief versank er im nassen Gras. Warum war dieser Schändler ohne Schirm oder Regenkleidung hierhin gegangen? Es könnte bedeuten, der Täter hatte ihn bereits am Auto in seine Gewalt gebracht. Oder er war sogar mit ihm hergekommen. Ein Mord im Affekt erschien ihm abwegig. Da Raubmord als Motiv ebenso wenig infrage kam, lag die Vermutung nahe, dass Täter und Opfer sich persönlich gekannt hatten oder in irgendeinem Verhältnis zueinander standen. Joshua lief langsam um das Opfer herum. Seine Haut war gräulich verfärbt. Augen und Mund weit aufgerissen. Joshua sah zum Parkstreifen herüber. Ungefähr fünfzig Meter mussten Opfer und Täter zurückgelegt haben. Er suchte nach einer Erklärung dafür, wieso der Täter sein Opfer an diesem relativ belebten Ort umbrachte. War es nicht geplant? Handelte es sich um ein zufälliges Treffen? Ein Gespräch entwickelte sich zu einem heftigen Disput, der schließlich mit dem Tod endete? Joshuas Blick war wieder auf den Toten gerichtet. Er versuchte, eine erste Theorie zu entwickeln. Die Möglichkeit, dass sich Täter und Opfer zufällig an einem Rastplatz trafen, hielt er für unwahrscheinlich. Aus welchem Grund trifft man sich an einem Rastplatz? Zwei dunkel gekleidete Männer kamen auf sie zu. Sie trugen einen einfachen, grauen Sarg. Joshua verließ den Tatort und machte sich auf den Weg zur Witwe.

    Am Horizont verabschiedete sich der Tag in einem leuchtend orangefarbenen Wolkenband, während Joshua sich überlegte, wie er der Ehefrau die Todesnachricht überbringen sollte. Sein Magen verkrampfte sich. Wen sollte er mitnehmen? Marlies war mit ihrer einfühlsamen Art in der Regel dabei. Aber erstens hatte ihr Sohn heute Geburtstag und zweitens wusste Joshua genau, hinter ihrer coolen Fassade nahm es sie wochenlang mit. Vor einem Jahr mussten sie einer verzweifelten Mutter mitteilen, dass ihr vermisster Sohn Selbstmord begangen hatte. Marlies tat dies mit großer Hingabe und Mitgefühl. Sie verrichtete in den darauf folgenden Wochen ihren Dienst, als sei nichts geschehen. Nach drei Wochen kam ihre Mutter zu Joshua und berichtete, sie habe ihre Tochter sturzbetrunken und in Tränen aufgelöst im Garten ihrer Wohnung gefunden.
    Wütend dachte er an Daniel. Er war regelrecht geflüchtet. Joshua hätte nach Krefeld zurückfahren und ihn holen sollen. Es war ihm zuwider, er wollte ihm nicht hinterherlaufen.

2
    Die weiß geklinkerte Villa im Moerser Stadtteil Kapellen lag nur etwa fünfzehn Autominuten vom Tatort entfernt. Ein fast zwei Meter hoher Stahlzaun umspannte das Grundstück. Als Joshua die stählerne Außentür erreichte, gingen überall auf dem Grundstück Lichter an. An einem der beiden großen gemauerten Säulen, die das Tor einfassten, befand sich eine Klingel mit Gegensprechanlage. Darunter war das Metallschild eines Sicherheitsdienstes angebracht. Joshua betätigte den Klingelknopf und wunderte sich. Nach der Warntafel am Tor zu urteilen, hatte er damit gerechnet, sein Klingeln würde sofort von mindestens einem bissigen Hund mit lautem Gebell quittiert. Aber es blieb still. Er klingelte erneut. Auch diesmal wurde die Stille durch nichts unterbrochen. Joshua sah auf seine Uhr. Vielleicht war Frau Schändler berufstätig und noch nicht zu Hause. Er ließ seine Blicke über das riesige Wohnhaus gleiten. Ein unruhiges Gefühl überkam ihn. Langsam ging er den Zaun entlang, auf einem engen Weg vorbei an Holunderbüschen. Das Wasser von den Ästen über ihm tropfte in seinen Nacken. Sein Blick wich dabei nicht von dem Grundstück. Joshua dachte an ein einsames Haus im Sauerland, das sie sich damals hatten kaufen wollen. Vielleicht wäre sein Dienst dort ruhiger verlaufen und sie hätten diese Probleme heute nicht. Sie hatten damals keine Bank gefunden, die es ihnen finanziert hätte.
    Durch dünne Ritzen in den Rollladen drang Licht nach außen. Die Ahnung überkam ihn, irgendetwas würde nicht stimmen. Vorsichtig tastete er sich leicht gebückt durchs Gebüsch. Es ärgerte ihn, die Taschenlampe nicht mitgenommen zu haben. Von

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