Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
ich musste einen ausgeben, vermutlich nicht bloß einen … Ich freute mich zwar nicht auf die Rechnung, wollte aber gern am Boden sein, bevor das Wetter noch schlechter wurde.
Fast 20 Monate zuvor hatte ich einen Brief an den Marineminister geschrieben und darum gebeten, den Dienst quittieren und die Teams verlassen zu dürfen. Die Navy hatte fast zwei Jahre gebraucht, bis sie reagierte. Bei Berufsoffizieren entscheidet der Präsident, wie lange sie dienen. Es hatte dem Weißen Haus offenbar nicht in den Kram gepasst, mich früher gehen zu lassen. Die Navy hatte sich mit meinem Brief viel Zeit gelassen, und ich war jeden Tag einsatzbereit gewesen, seit ich eine Kopie des Schreibens zu meinen Akten geheftet hatte. Das machte mir nichts aus, schließlich war ich genau deshalb in der Navy. Ich wollte nur raus – irgendwann. Nun hatte ich drei Tage zuvor die Antwort auf meinen Antrag bekommen. Mein Dienst würde an diesem Tag um Mitternacht enden – in drei Stunden.
Warum stand ich dann hinten in einer 727 und wartete darauf, mitten in einer Vorstadt von Virginia auf ein Fußballfeld abzuspringen? Als das Flugzeug im Sturm schwankte und bebte, stellte ich mir auch diese Frage. In drei Stunden würde ich aus der Navy raus sein. Warum war ich trotzdem hier? So verrückt es auch klingt, ich machte den Sprung, weil ich ihn nicht machen wollte.
Ich hasste das Springen. Leider war meine Abneigung gegen die Schwerkraft gut bekannt. Ich wurde oft deshalb aufgezogen, aber ich machte trotzdem alle Sprünge mit, mehr als 300. Drei davon waren gefechtsmäßig über feindlichem Gebiet, also war ich bestimmt kompetent, was Luftoperationen betraf. Wenn sich zwölf Kampfspringer in 10 000 Meter Höhe mithilfe von Nachtsichtgeräten zu einem fliegenden Verband gruppieren, gibt es keinen Platz für leistungsschwache Teammitglieder. Außerdem brauchte ich es nicht zu mögen, sondern nur zu tun, wie es in der Grundausbildung der Navy SEALs so schön heißt. Ich war der Führer der Boat-Crew, und meine Crew war für diese Operation ausgelost worden. Wenn die Rastas sprangen, dann sprang ich auch.
»Leiten Sie die Dekompression ein«, sagte ich zu dem Combat Controller.
Die Fallschirmwarte und Beobachter eilten zu ihren Sitzen und schnallten sich an. Die Combat Controller setzten Pilotenhelme mit Sauerstoffmasken auf, die mit einer Sauerstoffflasche in ihrem Gürtel verbunden waren. Über die Funkgeräte in ihren Masken konnten sie weiterhin mit der Absprungzone kommunizieren. Ein lautes Rauschen ertönte und die Kabine füllte sich mit Nebel. Als der Druckausgleich hergestellt war, blickte ich auf den Höhenmesser an meinem Handgelenk. Er zeigte 3650 Meter an, dieselbe Höhe wie außerhalb des Flugzeugs.
Alex öffnete den Riegel der Heckluke und sicherte ihn, indem er ihn mit einem Stück Bungee-Seil in der Bordküche festband. Die Kabine war jetzt vom ohrenbetäubenden Donnern der Triebwerke erfüllt. Das Geräusch war so laut, dass es Schmerzen in der Brust verursachte. Der Combat Controller berührte mich an der Schulter. Sprechen kam jetzt nicht mehr infrage, wir mussten uns mit Handsignalen verständigen. Der Mann von der Air Force hielt die eine Hand mit fünf Fingern und die andere mit dem Daumen in die Höhe: noch sechs Minuten bis zum Sprung.
Die Springer zwängten sich in die Heckküche des Flugzeugs. José »Hoser« Lopez betrat die zusammengefalteten Stufen der Heckgangway. Wie schon D. B. Cooper, vermutlich zu seinem Entsetzen, entdeckt haben könnte, fährt die Gangway einer 727 nicht vollständig aus, wenn sie sich in der Luft befindet. Der Luftstrom unter dem Flugzeugrumpf ist so stark, dass die Hydraulik der Gangway nicht genug Kraft hat, um sie vollständig auszufahren und in dieser Stellung zu arretieren. Die Springer bildeten in der Bordküche eine Schlange und schauten zu, wie Hoser sich ans Ende der zusammengefalteten Treppe vorschob und dort den sogenannten Bounce machte. Er hielt sich am Geländer fest und sprang so lange auf und ab, bis die Treppe ganz ausgefahren war und einrastete.
Das ist nicht so einfach, wie es klingt. Während man auf der Gangway herumhopst, bewegt sich das Flugzeug mit mehr als 220 Stundenkilometer. Bis die Hydraulik den Luftwiderstand überwunden hat, bockt die 450 Kilogramm schwere Gangway wie ein störrisches Maultier. Beim Bounce hat es schon Krüppel und Tote gegeben. Diesmal jedoch schaffte es Hoser, die Treppe, nachdem sie ein paarmal bös ins Schlingern gekommen war, in eine
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