Zwei Schwestern
2. Reisefreunde
Wir fuhren einmal unser mehrere in einem Postwagen. In dem Kasten saß ein Vater mit zwei Töchtern - ich weiß es nicht genau, aber ich hielt ihn dafür. Das ältere der Mädchen, ungefähr dreizehn oder vierzehn Jahre alt, erregte durch ihr ernstes und ruhiges Benehmen unsere Aufmerksamkeit und unsern Beifall. Das jüngere war noch fast ein Kind, das mit kindlichen Augen in die Welt hinein schaute. Außer diesen drei Personen saß noch eine Frau in dem Kasten, die ich für die Begleiterin, gewesene Amme, oder sonst etwas dergleichen von den Mädchen hielt, obwohl sie vielleicht auch ganz und gar nicht zu ihnen gehören konnte; denn sie gab, ungleich der gewöhnlichen Art solcher Frauen, sehr wenige Zeichen von sich, regte sich wenig, und sprach oft wirklich postenlange kein Wort. In dem hintern Gelasse des Wagens saßen ich und ein ältlicher Mann, den wir seines blassen Aussehens und seiner schwarzen Kleidung halber scherzweise Paganini nannten. Er lächelte einmal bei diesem Spottnamen trübsinnig und sagte: »Wer weiß, ob es nicht ein sehr großes Unglük für mich wäre, wenn ich wirklich Paganini wäre.« Unter dem Vordache des Wagens saß neben dem Postgeleiter ein Student, von dem ich nichts zu sagen weiß, als daß er sehr viel aus einem Meißnerkopfe rauchte, an dem er ein langes Rohr und ein bewegliches Mundstük hatte.
Die Reise war durch ganz und gar nichts ausgezeichnet, weder durch sehr schlechtes noch durch sehr schönes Wetter - weder durch ein Glük noch durch ein Unglük - weder durch besonders langweiliges noch durch ungemein anziehendes Gespräch. Als wir uns erst ein wenig in einander hinein gelebt hätten, und die Sache ein wenig in den Gang gekommen wäre, hatten wir unser Ziel erreicht, und wir gingen auseinander.
Ich hätte das Ding längst vergessen, wenn nicht der Zufall eine Fortsezung daran gestükt hätte, wie er es oft mit den unzusammengehörigsten Sachen thut. Man wird bei solchen Vorgängen gereizt, nach einer Art Vernunft in dem Gemengsel zu suchen, und wenn wirklich etwas daraus erfolgt, schieben wir es der Vorsehung in die Schuhe - mit welchem Rechte oder Unrechte, weiß ich nicht. Die Sache aber war so. Als ich einmal, ich weiß nicht, nach welch langer Zeit in Wien war und in dem Gasthofe zur Dreifaltigkeit, den ich immer zu benüzen pflege, die hintere Wendelstiege in den Hof hinab stieg, welche Stiege gewiß jeder Reisende kennt, der einmal in diesem Gasthofe gewohnt hat, weil sie so enge ist, daß sich ihrer zwei kaum ausweichen können: so begegnete mir hinauf steigend leibhaftig und wirklich unser falscher Paganini. Ich erkannte ihn sogleich wieder, was hauptsächlich dadurch möglich wurde, daß er, wie ich glaube, den nehmlichen schwarzen Frak anhatte, wie damals im Postwagen. Da ich ihm meinen Gruß zurief, erkannte er mich auch, und wir drükten uns gegenseitig die Freude aus, uns hier so unvermuthet getroffen zu haben. Wie es bei Reisenden gebräuchlich ist, fragten wir um unser Befinden, wie lange wir schon da seien, und wie lange wir uns noch aufzuhalten gedächten. Da erfuhren wir nun, daß wir nicht nur schon drei Tage Zimmernachbarn wären, sondern daß wir es auch wahrscheinlich noch sehr lange bleiben würden. Er hatte nehmlich einen Prozeß zu betreiben, und mußte in dieser Angelegenheit viele Gänge und Besuche machen: ich war wegen der Betreibung eines Bittgesuches in Wien und hatte der Gänge und Besuche gewiß nicht weniger zu thun. Wir sprachen nach dieser Mittheilung die Hoffnung aus, daß wir uns gewiß nun öfter sehen würden, und um dies nicht eine bloße Redensweise sein zu lassen, verabredeten wir eine gemeinschaftliche Speisestunde in unserm Gasthofe, so oft es nehmlich einem jeden von uns möglich sein würde, und bemerkten, daß wir uns auch ohnedem, da wir so nahe wären, manchmal treffen könnten.
In Folge dieses Versprechens kamen wir nun an dem Wirthstische zusammen, wir fanden Behagen an einander, und jeder erschien gerne zu der festgesezten Stunde, wenn er nicht nothwendig verhindert war. Zulezt geschah es auch, daß wir sogar manchmal an Abenden, wenn es etwa regnerisch war, oder wenn Einem ein Verdruß in dem Haupte spukte, an der Thür des Nachbars pochten, wenn er zu Hause war, eintraten, ein Stündchen verplauderten, und nicht selten den Verdruß verloren, weil man ihn erzählen und sich recht weidlich darüber aussprechen konnte. Zuweilen gingen wir dann auch an irgend einen Vergnügungsort, wohin der
Weitere Kostenlose Bücher