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Zur freundlichen Erinnerung

Zur freundlichen Erinnerung

Titel: Zur freundlichen Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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etwas fallen wie: "Nuja, die Bauern machen sich jetzt gesund. Hm, die Bauern und die, die was für'n Magen verkaufen—"
    Man sagt, der Weise überwindet und kommt zur vollkommenen Ruhe.
    Es gibt Menschen, die ohne Empfindungsvermögen geboren werden. Und es sind welche, die, wenn die Schmerzen und Erschütterungen ihre Seele in zu rascher Aufeinanderfolge zermürben, zuletzt in eine völlige Stumpfheit münden. Zu diesen gehörte Johann Krill.
    "Es war doch schön an dem Abend mit Hochvogel—so gemütlich!" und "So was wie die Rienken hat, müßt' man aufmachen." Das war er!—
    Mittlerweile kam der Termin zur Verhandlung gegen ihn. Anna hetzte noch mehr herum. Sie schlief nicht mehr, sie vergaß das Essen.
    Im Gerichtssaal hustete sie die ganze Zeit. Unstet liefen die Pupillen ihrer Augen von einem Winkel zum anderen. Auch die Rienken war als Zeuge geladen. Dummerweise war einer von den letzten Anwälten, die Anna genommen hatte, darauf gekommen, sie zu laden. Sie trug ein schwarzes Seidenkleid, dessen schweres Spitzengewirr vom speckigen Nacken kraus herabrann üher den hochgeschnürten, überquellenden Busen. Ein blutrotes Granatkollier prangte patzig auf der gelben, welken Haut ihres Halses, dessen blaue Äderung nur schlecht vom dick aufgetragenen Puder verwischt war. Ihre Froschhände waren beteuernd auf den Magen gepreßt und spielten manchmal mit dem Schildpatt-Lorgnon, das an einer breiten goldenen Kette herabhing.
    "Ich bin gleich fertig mit meinen Aussagen, Herr Amtsrichter, ich hab' ein Geschäft und viel im Kopf," begann sie, als sie aufgerufen wurde.
    "Die?!—Gott sei Dank, ich hab' immer anständige Bedienerinnen gehabt," fuhr sie fort, üher Anna befragt, und warf einen seitlichen, herablassenden Blick auf diese, "aber nun, man tappt auch einmal herein.—Ich hab' es mir aber—glauben Sie es mir, Herr Amtsrichter, ich bin fünfzehn Jahre auf dem gleichen Platz und weiß, was der Ruf für ein Geschäft ausmacht—ich hab' es mir geschworen: Rienken, sagt' ich mir, Rienken—von der Fleischgasse nimmst du keine mehr, nicht um die Welt!" Sie kam immer mehr in Zug.
    "Vettel!" schrie Anna schrill und wurde verwarnt. Die Rienken drehte sich schnell um und dann wieder zum Richter. "Man soll sich nicht ärgern, Herr Amtsrichter?" Und sie schnitt eine weinerliche Miene:
    "Wie hab' ich den Leuten geholfen und was hab' ich davon!—Es ist bloß gut, daß ich meinen Kopf nie verlier', es ist ja bloß gut, daß ich mich nie auf die gleiche Stufe stelle mit—mit—so was."
    Und endlich zur Sache gerufen, erzählte sie weitschweifig, daß Johann die Stellung bei diesem Fabrikherrn nicht umsonst angenommen habe. "Und Nachtschicht—er wird schon gewußt haben, warum. Man kennt solche—Nachtschichten!" Und Herr Hochvogel?… Sie geriet etwas in Verwirrung. Nun, der habe bald klar gesehen, ein solcher Herr ließe sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen.
    "Der muß her! Der muß Zeuge machen!" schrie Anna, und ihr Rechtsanwalt brachte es auch fertig. Nun wurde es aber noch ungünstiger. Obwohl dem Fabrikanten die ganze Sache äußerst unangenehm war, obwohl er sich außerordentlich zurückhielt und nichts gegen Johann eigentlich vorbringen konnte, als eben jenen üblen Vorfall in der Rienkeschen Bar—es machte alles einen schlechten, sehr schlechten Eindruck —Johann Krill wurde verurteilt.
    Anna bekam einen minutenlangen Schreikrampf. Sie stürzte vor und wollte auf die Rienken los. Es mußten sie Schutzleute mit Gewalt wegbringen.
    Johann, der ohne Erregung den Auftritten zusah, nahm alles mit Ruhe hin. Er lächelte fast verlegen, als ihn die Richter am Schluß fragten, ob er noch etwas zu sagen wünsche.
    "Dumm," brummte er und kratzte sich hinter dem rechten Ohr, "dumm,
Herr Richter, man tappt eben hinein und—und dann passiert allerhand."
    Die steinernen Amtsmienen wußten einen Augenblick lang wirklich nicht, sollten sie lachen oder einige beruhigende Worte des Mitleids aus ihren Lippen lassen.
    Damit war es zu Ende. Anna konnte Johann nun nicht mehr besuchen. Die beiden waren auseinander.—In ihrer Wut schlug Anna einige Tage später die zwei großen Fensterscheiben der Rienkeschen Bar ein und konnte mit Mühe nur überwältigt werden. Das Beil wurde ihr abgenommen und der herbeigerufene Schutzmann nahm sie mit.
    Und wieder gab es einen Prozeß. Wegen Bedrohung und Sachbeschädigung wurde Anna Krill zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.
    Hier bricht der Faden ab. Es ist nichts mehr zu berichten.
    Eine

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