Zurueck Aus Afrika
Lketinga seien sehr traurig gewesen, als sie die Bilder sahen. Sie vermissen uns immer noch. In dem Brief befindet sich ein Foto von Lketingas Ehefrau. Ich erkenne sie sofort, weil sie als Mädchen oft bei uns im Shop Zucker oder Maismehl einkaufte. Sie war sehr ruhig und eher unauffällig. Ich freue mich für die beiden, vor allem, da James schreibt, dass Lketinga wirklich keinen Alkohol mehr trinkt. Ein Bild von seinem Kind werde ich später bekommen. Es sei ein Mädchen und bereits zehn Monate alt. Auch weniger Schönes erfahre ich aus dem langen Brief. Die Frau des älteren Bruders von Lketinga, Mama Saguna, sei schon seit drei Monaten im Hospital und habe große Probleme mit ihrer Gesundheit. Sie könne nicht nach Hause, bevor nicht die Spitalrechnung beglichen ist. Zudem schulden sie den Somalis Geld für ihren Notfall-Transport von Barsaloi nach Wamba. Ich kann mir vorstellen, dass es wahrscheinlich um Leben und Tod ging. Denn bevor dort ein Hospital in Anspruch genommen wird, ist der Patient mehr tot als lebendig. Zuerst werden, wie ich es selbst erlebt habe, alle möglichen Formen der Buschmedizin ausprobiert. Meine Schwiegermama sei jetzt mit den fünf Kindern und dem Neugeborenen seines Bruders zu Hause und sie hätten nicht genug zu essen. James bittet mich erneut um Hilfe in Form von Geld, was mich sehr traurig macht. Zum ersten Mal kann ich nicht helfen, weil ich durch meine Arbeitslosigkeit selbst kein Geld mehr habe. So bitte ich Hanspeter und meinen älteren Bruder um eine Spende, was bei beiden keiner großen Worte bedarf.
Die erneute Arbeitslosigkeit belastet mich diesmal nicht mehr so drastisch. Während des kurzen Arbeitseinsatzes ist mir klar geworden, dass ich Lust hätte, etwas völlig Neues, Anspruchsvolleres zu vertreiben. Mit meinen 36 Jahren könnte ich auch noch eine kleine Zusatzausbildung machen. Täglich durchforste ich die Zeitungen.
Gleichzeitig bin ich damit beschäftigt, Napirai auf ihren ersten Schultag vorzubereiten. Wie schnell doch die Zeit vergeht! Nun kommt meine Tochter bereits in die Schule und der kleine Ernst des Lebens beginnt für sie. Beim Stamm ihres Vaters wäre sie jetzt wahrscheinlich unter brütender Sonne mit der Ziegenherde unterwegs. Ihre schönen Haare wären mit einer Rasierklinge geschoren und sie wäre nur mit einem Kanga bekleidet und mit dem ersten Halsschmuck versehen. Nein, ich bin wirklich froh, dass es anders gekommen ist.
Am ersten Schultag begleiten meine Mutter und ich unsere Napirai stolz zur Schule. In ihrem hübschen Sommerkleidchen, mit ihrer braunen Haut und den schulterlangen Zapfenlocken sieht sie wunderschön aus. Aufgeregt räumt sie den bunten Schulranzen aus, stellt ihr farbiges Etui auf das Pult und hört gespannt der jungen sympathischen Lehrerin zu, die noch dazu langes blondes Haar hat, was Napirai immer noch fasziniert. Meine Mutter und ich sind schon bald nicht mehr von Wichtigkeit und wir schleichen uns nach gut einer Stunde davon.
In letzter Zeit schreibe ich wie besessen über meine Vergangenheit und fülle Seite um Seite. Eines Abends bin ich schließlich dabei zu erzählen, wie ich mit Napirai vor fünfeinhalb Jahren im Bus von Mombasa nach Nairobi sitze und Lketinga anflehe, endlich meinen vorbereiteten Zettel zu unterschreiben, der seine Einwilligung für unsere dreiwöchige Ausreise beinhaltet. Plötzlich spüre ich, wie ich innerlich zu zittern beginne und sich ein enormer Druck auf meine Brust legt. Ich vernehme deutlich das Hupen des Busfahrers und glaube die Stimme Lketingas zu hören, der traurig und zweifelnd sagt: »I don’t know, if I see you and Napirai again.« Dann springt er mit zwei Sätzen aus dem Bus. Wir fahren los und erst als ich das unterzeichnete Papier in Händen halte und mit einem stummen Blick nach draußen alles Vorbeiziehende verabschiede, laufen mir die Tränen über das Gesicht.
Nach diesen letzten Sätzen werfe ich den Bleistift und den Block weit von mir und heule nun wirklich hemmungslos. Ich zittere am ganzen Körper und werde von Schluchzern durchgeschüttelt. In diesem Moment weiß ich: Ich werde keine Zeile mehr schreiben können! Ich schlinge meine Arme um mich, wie um Halt zu suchen, und habe das Gefühl, in ein tiefes Loch gezogen zu werden. Ich weine um mein geliebtes Kenia, um meinen zerstörten Traum von einer großen Liebe und um alles Schöne und Schreckliche, das ich in einer fast unwirklichen Welt erleben durfte.
Plötzlich steht meine kleine Napirai verschlafen und
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