Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)
würde sie sich wappnen.
Ohne den Kopf von der Lehne zu heben, drehte sie ihr Gesicht nach rechts. Matt betrachtete sie aufmerksam. Seine zerzausten Haare wirkten, als sei er eben erst aus dem Bett gestiegen, und die dunklen Stoppeln an seinem Kinn verstärkten den Eindruck noch. Die vergangenen Tage hatten ihre Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, seine Augen aber waren wach, kristallklar wie ein Bergsee.
»Es tut mir wirklich leid«, sagte er.
»Das muss es nicht«, antwortete Emily sofort.
Matt runzelte die Stirn, und Emily holte Luft. »Ich weiß, was du mir damit sagen wolltest«, erklärte sie, »und es ist angekommen.« Sie machte eine Pause, dann fuhr sie fort: »Ich spreche nicht über den Unfall und es wäre mir lieb, wenn … belassen wir es einfach dabei. Ich hätte dir nicht all diese persönlichen Fragen stellen dürfen. Es geht mich wirklich nichts an, wie du lebst, das ist mir jetzt klar geworden.«
Matts Stirnrunzeln vertiefte sich.
»Worüber hat Silly mit dir gesprochen?«, fragte er. Emily wandte ihren Blick wieder nach vorn, der Straße zu. »Über nichts Besonderes«, log sie. »Über Joe. Darüber, dass ihr alle eure Fähigkeiten habt.«
Noch während die Worte ihre Lippen verließen, bereute sie sie schon. Herrje, sie wollte das nicht so ironisch klingen lassen. Sie hatte es überhaupt nicht erwähnen wollen.
Matt verzog keine Miene. »Hat sie dir gesagt, welche Fähigkeiten …«
»Nein«, unterbrach Emily sofort, »und ich will es auch nicht wissen.«
Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie sich Matts Hand in seinen Haaren vergrub. »Ich dachte, das hätten wir hinter uns«, sagte er ruhig. »Ich dachte, du wolltest so dringend Antworten finden.«
Emily antwortete nicht.
Matt wartete eine Minute, dann fuhr er fort: »Es stimmt, was Silly sagt. Fast alle in Hollyhill haben eine Gabe, die dabei hilft, das zu tun, was wir nun mal tun. Adam – bis zu einem gewissen Grad ist es niemandem möglich, Adam nicht die Wahrheit zu sagen. Je schwächer die Psyche, desto schwieriger ist es, seiner – ich weiß nicht –, seiner Energie zu widerstehen. Rose, sie kann Bilder aus der Vergangenheit …«
»Ich habe Träume«, platzte es aus Emily heraus.
Sie hörte, wie Matt geräuschvoll Luft ausstieß. »Willst du mir erzählen, was …«
»Nein!« Emily presste die Innenseiten ihrer Hände gegen ihre Stirn. Ihr Kopf begann zu schmerzen. Sie wollte nicht mehr nachdenken. Sie wusste einfach nicht, wie viele Informationen dieser Art sie noch verarbeiten konnte.
Er mag dich auch.
»Vergessen wir’s, okay? Bitte!«
Es war Matt ins Gesicht geschrieben, dass er keine Ahnung hatte, was in ihr vorging. Noch weniger, als die Tage zuvor. Sein Blick war voller Fragen, und Emily spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog.
Sie beugte sich vor und drehte das Radio lauter.
»Wir erwarten den Moment, in dem die Glaskutsche am Fuße der Stufen zu St. Pauls hält, sich die Tür öffnet und wir dieses Kleid zum ersten Mal sehen, in all seiner Pracht.
Jetzt öffnet sich die Tür.
Oh, wie traumhaft sie aussieht! Wie traumhaft sie aussieht! Das ist eine Braut, über die jeder Mann glücklich wäre, sähe er sie den Gang hinunterschreiten.
Das Kleid wurde aus meterweise elfenbeinfarbenen Seidentafts gefertigt, es hat üppige Ärmel, gerafft an den Ellbogen, und eine sehr, sehr lange Schleppe.
Würde man ein kleines Mädchen bitten, eine Prinzessin zu malen, ich denke, sie würde ein Kleid wie dieses zeichnen. Mit einem winzigen Mieder, einer schmalen Taille und einem großen, riesigen Rock!
Da geht sie die Stufen hoch!
Still geht sie diesen längsten und glücklichsten Weg, den sie je beschreiten wird.«
Auf dem Weg zum Schafott, schoss es Emily durch den Kopf. Laut sagte sie: »Wie weit ist es noch bis Exeter?«
Matt antwortete nicht gleich, und als Emily sich ihm zuwandte, konnte sie sehen, dass er immer noch grübelte. Sicher dachte er darüber nach, was in sie gefahren war, warum sie plötzlich und über Nacht jedes Interesse an weiteren Fragen verloren hatte. An den Antworten. Warum sie sich zurückzog, mehr noch als zuvor.
Und sicher war ihm nicht klar, wie viel sie gemeinsam hatten, er und sie.
Dass auch sie eine Meisterin des Selbstschutzes war, schon von klein auf.
Seit sie vier Jahre alt war.
Und weinend aus dem qualmenden Auto gerettet wurde, in dem ihre Eltern den Tod fanden.
Zweimal hatte sie seither ihr Herz geöffnet: Für ihre Großmutter und für Fee. Ihre Großmutter würde
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