Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)
unbedeckt blieb, egal in welche Richtung sie das Shirt auch zog. Sie seufzte entnervt. »Ich sehe aus wie eine Bordsteinschwalbe aus ›Pretty Woman‹«, beschwerte sie sich.
Silly lachte. Mit zwei Schritten war sie neben Emily und drehte sie zum Spiegel. Die beiden Mädchen sahen sich an, während Silly einen Kamm nahm und damit begann, die violett getönten Haare zu toupieren.
Emily verdrehte die Augen.
Silly wartete drei effektvolle Sekunden, dann sagte sie: »Vorhin sah es so aus, als würdest du das alles ihm zu Liebe über dich ergehen lassen.«
Wie auf Knopfdruck lief Emily rot an. Es hatte überhaupt keinen Sinn, so zu tun, als wüsste sie nicht, von wem Silly sprach. Dass sie nicht Joe meinte.
Silly lächelte Emilys Spiegelbild an, das mit auftoupiertem, violettem Pferdeschwanz kaum mehr an die Emily erinnerte, die sie kannte.
»Er mag dich auch«, erklärte sie ernst.
Empört holte Emily Luft. »Silly!«, setzte sie an, überlegte es sich dann aber anders und schwieg.
Silly zuckte mit den Schultern. »Ich dachte, ich mache dich lieber darauf aufmerksam, bevor er es verpasst, es dir zu zeigen«, erklärte sie.
Wortlos sahen sie einander an.
Bitte nicht, dachte Emily, um sich im gleichen Augenblick zu fragen, warum ihr ausgerechnet diese Worte in den Sinn gekommen waren.
Hatte sie nicht selbst die ganze letzte Nacht und den Morgen darüber nachgedacht, was zwischen ihnen beiden passiert war? Und nun wollte sie nicht, dass Matt sie auch mochte? Falls Silly überhaupt recht hatte – wollte sie es nicht wissen? Oder wollte sie nur nicht, dass das Mädchen Hoffnungen in ihr weckte, die niemals eine Chance haben würden, sich zu erfüllen?
»Wir leben in völlig verschiedenen Welten«, stellte Emily schließlich fest. Ihre Stimme klang merkwürdig brüchig. »Wir leben ja nicht einmal in derselben Zeit.«
Silly legte den Kopf schief, sagte aber nichts.
16
D er alte Ford ächzte und knarzte, während sie sich auf schmalen Straßen durch das Moor schlängelten in Richtung Exeter, dem Ziel ihrer Reise.
Sie hatten Joe und Silly vor dem »Bearbreak Inn« verabschiedet: Emily in ihrem schrecklichen »Pretty in Pink«-Outfit, Matt immerhin in schwarzen Röhrenjeans, schlammblauen Stiefeletten und einer taillenlangen Lederjacke mit Schulterpolstern. Sie hatten sich hilflos angelächelt, beide in dem Bewusstsein, dass sie absolut albern aussahen. Zumindest fühlte Emily sich so. Als Matt ihre Tasche im Kofferraum des Wagens verstaute, hatte Silly sie freundschaftlich in die Seite gestupst. »Er könnte sumpfbraune Strumpfhosen tragen und sähe immer noch umwerfend aus, nicht?« Emily hatte mit Schweigen geantwortet.
Sie wollte nicht reden, auch jetzt nicht. Seufzend ließ sie ihren Kopf zur Seite rollen und sah aus dem Fenster. Der Himmel über dem Moor war ausnahmsweise einmal nicht grau, er war blau, dunkel und strahlend, und er erinnerte sie an … Emily stöhnte auf und schloss die Augen. Sie durfte sich jetzt nicht ablenken lassen. Was war denn los mit ihr?
»Alles in Ordnung?« Beim Klang von Matts Stimme zuckte sie zusammen.
»Ja, ich bin nur etwas müde«, murmelte sie. Sie schlug die Augen nicht auf.
Matt beließ es dabei, doch Emily spürte seine Blicke. Als sie schon glaubte, das Schweigen im Wagen würde sie erdrücken, drehte er das Radio auf.
»… wieder in den Charts, nachdem er vor einem halben Jahr auf so grausame Weise aus dem Leben gerissen wurde«, hörte sie den Moderator sagen, dann erklangen die ersten Töne von John Lennons »Imagine«.
Emily blinzelte.
»Und gleich danach schalten wir noch einmal live nach London zu Tom Fleming, der für die BBC vor der St. Pauls Cathedral auf die Ankunft von Lady Diana Spencer wartet. Wie wird die Braut aussehen? Für welches Kleid hat sie sich entschieden? All das und mehr gleich bei uns – bleiben Sie dran.«
Emily richtete sich in ihrem Sitz auf, faltete die Beine übereinander und die Hände in ihrem Schoß. Es war der 29. Juli 1981, kurz nach elf Uhr, sie saß in einem Auto mit einem Jungen, in den sie sich verlieben könnte, würde sie das zulassen, Prinz Charles war kurz davor, Lady Diana zu heiraten und sie, Emily, würde in wenigen Stunden ihre Mutter sehen.
Sie würde jetzt nicht die Augen verschließen.
Auch nicht vor dem Verlust, vor dem sie sich fürchtete, seit sie sich das erste Mal gefragt hatte, ob sie Matt je wiedersehen würde, läge dieses Abenteuer erst einmal hinter ihnen. Die Antwort war vermutlich Nein. Davor
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