Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer

Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer

Titel: Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
erzählen. Er sprach mit viel natürlicher Poesie von seinem Fischfang und seinen Kämpfen dabei. Sein Vortrag hatte echt epische Form, und ich glaubte manchmal einen canadischen Homer zu hören, der die Iliade der Hyperboreerlande sang.
    Ich schildere eben diesen kühnen Gesellen so, wie ich ihn gegenwärtig kenne. Wir sind alte Freunde geworden, geeinigt durch die unerschütterliche Sympathie, welche in den entsetzlichsten Lebenslagen entsteht und aneinander fesselt! Wackerer Ned! Ich möchte noch hundert Jahre leben, um mich noch recht lange Deiner zu erinnern!
    Und jetzt, was war denn Ned-Land’s Meinung in der Frage des Seeungeheuers? Ich muß gestehen, daß er an das Einhorn wenig glaubte, und daß er allein an Bord die allgemeine Ansicht nicht theilte. Er mied selbst von dem Gegenstand zu sprechen, so daß ich ihm einmal glaubte darin zu Leibe gehen zu müssen.
    An einem prachtvollen Abend des 30. Juli, d.h. drei Wochen nach unserer Abfahrt, befand sich die Fregatte auf der Höhe des Cap Blanco, dreißig Meilen unter’m Wind an der patagonischen Küste. Wir waren über den Wendekreis des Steinbocks hinaus, und die Magellanische Enge war keine siebenhundert Meilen mehr südlich. Vor Ablauf von acht Tagen konnte der Abraham Lincoln die Wogen des Stillen Meeres durchsegeln.
    Wir saßen, Ned-Land und ich, auf dem Hinterverdeck und plauderten über Dies und Jenes, indem wir auf das geheimnißvolle Meer hinschauten, dessen Tiefen bis jetzt den Blicken der Menschen unzugänglich gewesen sind. Ich führte ganz natürlich das Gespräch auf das Riesen-Einhorn, und prüfte die verschiedenen Aussichten unserer Unternehmung auf Gelingen oder Mißlingen. Hernach, als Ned mich reden ließ, ohne darauf zu antworten, setzte ich ihm directer zu.
    »Wie ist es, Ned, fragte ich, wie ist nur möglich, daß Sie von der Existenz des Thieres, welches wir verfolgen, nicht überzeugt sind? Haben Sie denn besondere Gründe, sich so ungläubig zu zeigen?«
    Der Harpunier sah mich erst eine Weile an, bevor er mir antwortete, schlug sich dann mit einer ihm eigenthümlichen Handbewegung auf seine große Stirn, schloß die Augen, als wolle er sich sammeln, und sagte endlich:
    »Vielleicht wohl, Herr Arronax.
    – Doch, Ned, Sie, ein Wallfischfänger von Profession, der mit den großen Seesäugethieren vertraut ist, dessen Einbildungskraft leicht die Hypothese von enormen Seethieren gelten lassen kann, Sie sollten der Letzte sein, der in solche Dinge Zweifel setzt!
    – Darin gerade irren Sie, Herr Professor, erwiderte Ned. Mag die Menge an außerordentliche Kometen glauben, welche den Raum durchlaufen, oder an das Dasein urweltlicher Ungeheuer, welche im Innern des Erdballs hausen, das geht noch an; aber weder der Astronom noch der Geologe lassen solche Hirngespinnste gelten. Ebenso der Wallfischfänger. Ich habe manche Seethiere verfolgt, viele harpuniert, eine Menge erlegt, aber so stark und wohl bewaffnet sie auch waren, weder mit den Schwänzen noch mit den Zähnen hätten sie den Eisenplatten eines Dampfers etwas anhaben können.
    – Doch, Ned, führt man Schiffe an, welche der Narwal mit seinem Zahn durch und durch gebohrt hat.
    – Hölzerne, wohl möglich, erwiderte der Canadier; und dazu hab’ ich solche nie gesehen. Also, bis mir der Beweis vom Gegentheil erbracht wird, leugne ich, daß Wallfische, Pottfische oder Einhörner solch eine Wirkung hervorbringen können.
    – Hören Sie mich an, Ned …
    – Nein, Herr Professor, nein. Alles sonst, was Sie wollen, nur dies nicht. Ein Riesenpolyp vielleicht …?
    – Noch weniger, Ned. Der Polyp ist nur eine Molluske, von wenig festem Fleisch, wie schon dieser Name andeutet. Wäre ein Polyp – der nicht zu den Wirbelthieren gehört – auch fünfhundert Fuß lang, so ist er doch durchaus ungefährlich für solche Schiffe, wie der Scotia oder Abraham Lincoln . Es müssen also die Heldenthaten der Kraken und anderen Ungeheuer der Art in’s Reich der Fabeln verwiesen werden.
    – Also, Herr Naturforscher, fuhr Ned-Land mit etwas schelmischem Ton fort, Sie beharren bei der Annahme, daß ein enormes Seesäugethier vorhanden sei …?
    – Ja, Ned, ich wiederhole es mit einer Ueberzeugung, welche sich auf die Logik der Thatsachen stützt. Ich glaube an die Existenz eines stark organisirten Seesäugethiers aus der Classe der Wirbelthiere, wie der Wallfisch, Pottfisch und Delphin, welches mit einer hörnernen Waffe von äußerster Stärke versehen ist.
    – Hm! sagte der Harpunier, und

Weitere Kostenlose Bücher