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Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer

Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer

Titel: Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ich den armen Burschen keuchen; er athmete kurz und beklommen. Ich sah ein, daß er nicht lange mehr aushalten konnte.
    »Lasse mich! Lass’ mich! sagte ich zu ihm.
    – Meinen Herrn im Stich lassen! Niemals!« erwiderte er. In diesem Moment leuchtete der Mond ein wenig zwischen dem Gewölk hervor, und die Meeresfläche schimmerte in seinen Strahlen. Dieser Eindruck belebte wieder unsere Kräfte. Ich konnte den Kopf aufrichten und am ganzen Horizont umherblicken. Ich sah die Fregatte, etwa fünf Meilen von uns, kaum bemerkbar. Aber von Booten nichts! Ich wollte rufen. Wozu das, in solcher Ferne? Meine geschwollenen Lippen vermochten’s nicht. Ich hörte Conseil wiederholt um Hilfe rufen. Wir hielten ein wenig an und horchten. Es dünkte mir, ein Ruf antworte dem Rufen Conseil’s.
    »Hast Du gehört? stammelte ich.
    – Ja! ja!«
    Und Conseil stieß nochmals verzweifelten Hilferuf aus. Diesmal war nicht zu zweifeln, eine Menschenstimme antwortete uns! War’s die Stimme eines andern beim Zusammenstoßen verunglückten Opfers? Oder gar ließ ein Boot der Fregatte uns durch’s Sprachrohr den Ruf zugehen?
    Conseil nahm seine äußersten Kräfte zusammen, um auf meine Schulter gestützt, sich halb aufzurichten und umherzuschauen; dann sank er erschöpft zurück.
    »Was hast Du gesehen?
    – Ich habe gesehen … stammelte er, ich habe gesehen … Doch reden wir nicht … nehmen wir alle Kraft zusammen! …« Was hatte er gesehen? … Was für eine Stimme mochte es sein?
    Conseil jedoch bugsirte mich fortwährend. Manchmal hob er den Kopf empor, blickte vor sich, rief wieder, um sich kund zu geben, und eine andere Stimme ließ sich immer näher vernehmen. Kaum vermochte ich noch es zu hören, meine Kräfte gingen mir aus; meine Finger spreizten sich; meine Hand versagte mir die Stütze; mein krampfhaft geöffneter Mund füllte sich mit Wasser; ich erstarrte vor Kälte. Zum letzten Mal hob ich den Kopf empor, dann versank ich …
    In dem Augenblick stieß ein Körper wider mich; ich klammerte mich an. Ich fühlte, daß man mich auf die Oberfläche zog, daß meine Brust wieder aufathmete, dann ward ich ohnmächtig …
    Gewiß bin ich durch das kräftige Reiben, womit man mich bearbeitete, bald wieder zu mir gekommen. Ich schlug ein wenig die Augen auf …
    »Conseil! stammelte ich.
    – Mein Herr hat mir gerufen?« erwiderte Conseil.
    In dem Augenblick, beim letzten Mondesstrahl, gewahrte ich eine Gestalt, nicht die Conseil’s, und erkannte sie sogleich.
    »Ned! rief ich.
    – In eigener Person, mein Herr, um mir meine Prämie zu holen! erwiderte der Canadier.
    – Sie sind auch von dem Stoß in’s Meer geschleudert worden?
    – Ja, Herr Professor, aber ich war besser d’ran, als Sie, daß ich sogleich auf einem schwimmenden Inselchen festen Fuß fassen konnte.
    – Ein Inselchen?
    – Ja, oder vielmehr, auf unserm Riesennarwal.
    – Erklären Sie mir, Ned.
    – Ich begriff bald, warum meine Harpune nicht eindringen konnte, und stumpf ward.
    – Warum Ned, warum?
    – Weil dies Thier, Herr Professor, von Eisenblech gemacht ist!«
    Ich muß hier meinen Geist sammeln, meine Erinnerungen wieder beleben, meine Aussagen selbst controliren.
    Die letzten Worte des Canadiers bewirkten in meinem Kopf eine plötzliche Wandlung. Ich klimmte rasch nach oben auf das Geschöpf oder den Gegenstand, der halb unter’m Wasser uns als Zuflucht diente. Ich probirte mit dem Fuß. Offenbar war’s ein harter, undurchdringlicher Körper, nicht der weiche Stoff, woraus die großen Seesäugethiere bestehen. Aber der harte Körper konnte auch eine knochenartige Schilddecke sein, wie bei den urweltlichen Thieren, und ich hätte jetzt das Ungeheuer unter die Reptilamphibien zu zählen, wie die Schildkröten und Alligatoren.
    Nein! Der schwärzliche Rücken, auf dem ich mich befand, war glatt, polirt, nicht schuppig. Er ließ, wenn man ihn anklopfte, einen Metallton hören, und so unglaublich es auch war, er schien von eingebolzten Platten gemacht.
    Ein Zweifel war nicht mehr möglich. Das Thier, das Ungeheuer, das Naturphänomen, welches die ganze gelehrte Welt, die Einbildungskraft der Seeleute verrückt und irre geleitet hatte, – man mußte es wohl anerkennen, war ein noch erstaunlicheres Wunder, ein Phänomen von Menschenhand.
    Die Entdeckung des Daseins eines noch so märchenhaften, mythischen Geschöpfes hätte meine Vernunft nicht in dem Grade überrascht. Daß das Wunderbare von Gott herkommt, ist eine einfache Sache. Aber auf einmal,

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