Zwei Sommer
Mama, Papa, Lenny und ich, aber ich glaube, alle wussten, dass es nie wieder so werden würde wie früher. Und ich glaube, vor allem Papa und Mama wollten nicht jedes Jahr aufs Neue daran erinnert werden, dass selbst so eine Bilderbuch-Ehe wie die von Doro und Hans kaputtgehen kann und dass so ein Unglück nicht nur die bösen Königinnen erwischt, sondern auch so gute Feen wie meine Tante Doro. Aber dass das Leben in Liebesangelegenheiten keine faire Kiste ist, na, das braucht mir keiner zu erzählen.
Seitdem Hans nicht mehr da ist, sehen sich meine Eltern und Tante Doro nur noch zu runden Geburtstagen oder Beerdigungen. Das finde ich ziemlich blöd, weil ich Tante Doro viel zu gern mag und weil ich finde, dass 60 0 Kilometer kein Hindernis sein sollten, wenn man jemanden gern hat.
Doro und ich tuckern mit offenem Verdeck über die holprigen Landstraßen und Doro dreht das Radio auf, aus dem so ein Uraltlied von Tina Turner dröhnt. You’re simply the best .
Ich schließe meine Augen, lasse mir den milden Fahrtwind um die Nase wehen und rieche frisch gemähtes Gras mit einer Prise Salzwasser. Das Meer! Es kann nicht mehr weit sein bis Rethwisch. Dort wohnt Doro in einem alten Fachwerkhäuschen, von dessen Dachbodenluke aus man schon die Dünen sehen kann. Ich glaube, dass es eine gute Idee gewesen ist, hierherzufahren.
»Willst du Tee? Kakao? Kaffee?« Tante Doro wirbelt mit einem blauen Wasserkessel herum und sieht mich erwartungsvoll an.
»’nen Kaffee, bitte. Mit viel Milch!«
»Ich hab Kuchen gekauft, Käsekuche n … Wenn ich backen könnte, hätte ich natürlich selbst einen gebacken.« Sie grinst und ich grinse zurück, weil Käsekuchen mein Lieblingskuchen ist und weil sie das immer sagt und ich genau weiß, dass Tante Doro trotzdem nie backen lernen wird. Aus Prinzip. Das ist so ein Emanzipations-Spleen von ihr.
»Vielleicht später. Im Moment nur Kaffee.«
»Du hast Kummer, stimmt’s?«
»Na toll, hat Mama sich schon darüber ausgelassen?«
»Ja klar, du weißt doch, wie sie ist. Aber davon abgesehen sehe ich es dir auch an. Es ist was Ernstes, wenn du nicht mal bei Käsekuchen schwach wirst, mmh?«
»Kann sein«, grummle ich mit dem Rücken zu Doro und starre aus dem kleinen Küchenfenster in den Garten.
»Ich fass es ja nicht, ist das da ein Beet in deinem Garten?« Garten trifft es eigentlich nicht ganz, denn das Grünzeug, das da hinter Tante Doros Haus so fröhlich vor sich hin wuchert, hat viel mehr Ähnlichkeit mit einem Urwald. Es wächst darin so ziemlich alles, was Wurzeln kriegen kann, aber abgesehen von den Äpfeln der zwei knorrigen alten Apfelbäume ist es schwer, in Doros Garten etwas Essbares aufzutreiben. Es sei denn, man steht wie Pauline auf Löwenzahn- und Gänseblümchensalat oder so ein Zeug.
»Ja, jetzt bist du platt, was?«
»Ich dachte, du hasst Gartenarbeit.«
»Tu ich ja auch. Aber ich liebe Erdbeeren. Und ich dachte, ich könnte ja zur Abwechslung mal was ganz Normales machen.«
»Wie zum Beispiel ein Beet umgraben und Erdbeeren pflanzen?«
»Schön, wenn du dich amüsierst.« Doro tut, als sei sie beleidigt, setzt sich zu mir an den Küchentisch und wirft einen Blick nach draußen.
»Ist gar nicht so verkehrt, ab und zu mal ein bisschen in der Erde herumzuwühlen. Beruhigt die Nerven.«
»Hast du Stress? Wie läuft’s mit der Malerei?«
»Na ja, könnte besser gehen. In den letzten drei Monaten habe ich nur ein einziges Bild verkauft. Davon abgesehen steht gerade wieder in den Sternen, ob meine Ausstellung stattfindet oder nicht. Die Galeristin hat mir bis heute keine definitive Zusage geben wollen. Sie hat gesagt, meine Bilder seien nun mal sehr ›speziell‹.«
Tante Doro war mal Dozentin an der Kunsthochschule. Als Hans sich von ihr trennte, hat sie den Job an den Nagel gehängt und arbeitet seitdem als freischaffende Malerin und Fotografin.
»Wenn du von der Kunst leben willst, brauchst du ein verdammt dickes Fell«, sagt Doro mit ernster Stimme. »Du hast jede Menge Freiheit, aber auch jede Menge Ärger.«
»Bereust du’s eigentlich manchmal, dass du an der Uni gekündigt hast?«
»Um Himmels willen, nein! Ich bin froh, dass ich aus diesem Laden raus bin. Da war keine Luft mehr zum Atmen für mich. Ich konnte einfach nicht das tun, was ich wirklich will. Und wenn man das spürt, ist es allerhöchste Zeit, die Zelte abzubrechen.«
»Ich glaub, ich hätte nicht den Mut dazu gehabt.«
»Ich denke, das hat weniger mit Mut zu tun als mit der
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