Zwei Sommer
dem Schwein, aus dem er gemacht wurde, nicht mehr ganz so ähnlich sah.
Seit Pauline vor fünf Jahren weggezogen ist, haben wir uns kaum gesehen. Trotzdem ist der Kontakt nie abgerissen. Leider ist sie jetzt mit einem Freund in Portugal unterwegs. Auf Eseln oder so.
Jedenfalls gab es niemanden, der seine Sommerferien noch nicht verplant hatte. Da habe ich meine Tante Doro in Rethwisch angerufen. Tante Doro ist weder frisch verliebt noch schaukelt sie auf irgendwelchen Vierbeinern durch die Pampa. Sie freut sich, dass ich sie besuchen komme.
Dabei hat meine Mutter noch einen Riesenaufstand gemacht und meine Tante vor mir gewarnt. Ob sie sich das wirklich zutraue. Es sei gerade nicht ganz einfach mit mir und ich sei ja auch in einem schwierigen Alter. Es ist doch gut zu wissen, dass die eigene Mutter einen für eine wandelnde Zumutung hält.
Ich habe noch eine gute Stunde Fahrt vor mir und befinde mich bereits jetzt schon am Ende der Welt.
Mir gegenüber sitzt eine Frau, die in einer Illustrierten blättert. Sie ist um die fünfzig und trägt ein gelbes Sommerkleid, das den Blick auf ein verblühtes Dekolleté freigibt. Die Haut an Hals und Busen ist trocken und braun und hat nichts Appetitliches.
Altern ist eine im Grunde ziemlich ungerechte Angelegenheit. Ich bezweifle, dass mich diese Betrachtungsweise der Dinge zu einer glücklichen alten Frau machen wird. Aber ich vertraue auch darauf, dass sich die Wahrnehmung meiner Hautoberfläche im Laufe der Jahre zugunsten der eigenen Selbsterhaltung verschieben wird.
Die Frau im gelben Sommerkleid hat aufgehört zu blättern und ist offenbar an einem Artikel hängen geblieben. TRAUMPAAR-TRENNUNG! Ich versuche über Kopf mitzulesen. Ich erfahre, dass Prinz Sowieso Prinzessin von und zu Sowieso verlassen hat. Wenn ich es richtig entziffern kann, hat er schon seit mehreren Monaten eine Affäre mit einer anderen. Einem italienischen Supermodel.
Prinz Oliver und Prinzessin Marie.
Bella Isabella.
Schönheit siegt, machen wir uns doch nichts vor.
»So ein Miststück«, murmelt die Frau über der Illustrierten, als kenne sie die Betroffenen persönlich. »Macht sich an einen verlobten Mann heran, wo gibt es denn so was.«
Ich teile ihre Empörung und schaue aus dem Fenster. Ein Gefühl von Leere breitet sich in mir aus.
Miststück, denke ich. So ein Miststück.
Auf einer Party im Frühling fing alles an. Es war meine erste richtige Party überhaupt. Was Ausgehen und so betrifft, bin ich im Vergleich zu den Mädchen in meiner Klasse ein ausgesprochener Spätzünder. Es war sogar der erste Abend, für den ich einen ernsthaften Schminkversuch unternommen habe. Ich hatte diese Form der Kriegsbemalung bis zu jenem Tag abgelehnt, nicht zuletzt, um mich von den Vanessas dieser Welt abzugrenzen. Inzwischen bin ich großzügiger geworden, was den Gebrauch von Make-up betrifft. Das heißt, ich halte ihn nicht mehr in jedem Fall und auf jedem Mädchengesicht für eine Kompensationsmaßnahme bei fehlender Intelligenz.
Ich stand also im Badezimmer bei Isa und erfand eine neue Marie. Obwohl meine Augenlider von der fiesen Prozedur des Augenbrauenzupfens noch gerötet und leicht angeschwollen waren und trotz der brutalen Röntgenbeleuchtung über dem Badezimmerspiegel, deren Job es wohl ist, jeden Makel gnadenlos ans Licht zu zerren, gefiel mir das Mädchen dort im Spiegel immer besser. Hi, Marie, schön bist du.
Isa kommentierte mein Gesamtkunstwerk schließlich in ihrer einmalig charmanten Art mit den Worten, ich hätte ein richtiges Vorher-nachher-Gesicht.
Ich glaube, es sollte ein Kompliment sein.
Wir hatten unsere Lieblingsmusik voll aufgedreht (Isas Eltern waren mal wieder im Theater), und während ich mich vorm Spiegel neu erschuf, kam Isa alle fünf Minuten in einem neuen Outfit ins Bad getanzt. Isa ist ein Bewegungswunder. Ich kenne wenige Menschen, die sich selbst in den fiesesten Absatzschuhen so anmutig fortbewegen können wie sie.
Ständig machte sie Beweisfotos von sich und mir mit ihrem Handy. Eines zeigte uns beide – formvollendet, mit Sonnenbrillen, Zähne putzend – kampfbereit für den Abend der Abende. Dieses Foto pinnte seitdem über meinem Schreibtisch und war das erste Dokument unserer Freundschaft, das ich vernichtet habe. An die schönsten Augenblicke einer vergangenen Zeit will man nicht täglich erinnert werden.
»Hi, kommt rein.« Ein Typ mit einer Flasche Bier in der Hand machte uns die Tür auf. Im Hausflur standen schon ungefähr dreißig Paar
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