Zwei Sonnen am Himmel
einen weitläufigen Halbkreis bildeten â¦
Einige Atemzüge lang schwiegen sie. Sie konnten nicht glauben, was sie sahen. Es war zu ungeheuerlich.
Dann begegnete Usir Torrs weit aufgerissenen, starren Augen und er wusste, dass seine Sinne ihn nicht getäuscht hatten: Unter ihnen auf dem Meeresgrund lag der Hafen von Poseidonis. Und die Klippen, die sie umschifften, waren die Bergspitzen, die einst die Bucht überragten und die der Zorn der Götter ins Meer gerissen hatte ⦠Atos Gesicht war bleich und verzerrt. Mit kaum hörbarer Stimme stieà er hervor: »Wir Menschen sind nichts als Staubkörner in den Augen der Götter. Welchen Frevel haben wir begangen, dass sie uns derart strafen mussten?«
Xoris, der Arzt, wischte sich die Tränen ab, die über seine zerfurchten Wangen liefen.
»Wir haben das Wissen unserer Ahnen missbraucht und sind an dem Versuch, die Naturkräfte gewaltsam für uns zu nutzen, gescheitert â¦Â«
Usir starrte wie gebannt in die Wellen. Er kämpfte gegen die Verzweiflung an; es war, als würde sie ihn in Stücke zerreiÃen. Doch dann spürte er eine Hand auf seiner Schulter, fest und stark. Er hob die Augen und sah in Isas Gesicht. Sie sagte kein Wort, aber ihre Ruhe übertrug sich auf ihn und spendete ihm Trost. Er hätte sie gerne an sich gezogen, um die Wärme zu spüren, die von ihr ausging, doch er lieà es sein. Es genügte, dass sie ihn ansah. Sie schien ihn wieder mit sich selbst zu versöhnen.
Alle Blicke hefteten sich an ihn, als er sich im Bug des Schiffes aufrichtete. Er hob die Hand: An seinem Zeigefinger funkelte der heilige Ring der Macht, das Wahrzeichen der Könige von Atlantis. Er zog ihn ab und hielt ihn hoch, so dass ihn alle sehen konnten. »Das Schicksal wollte es, dass dieser Ring für kurze Zeit in meinem Besitz war. Doch er gehört nicht mir, er gehört den Herrschern von Atlantis.«
Er warf den Ring in die Höhe; er zog eine winzige, glitzernde Bahn in der Sonne, bevor er in die Fluten fiel. Sie sahen ihn glänzen und sinken und schlieÃlich in den grünlichen Tiefen verschwinden. Und alle schwiegen ergriffen, als wären sie Zeugen einer heiligen Handlung. Das Rauschen des Wassers, das sich an den Gipfeln der versunkenen Berge brach, klang schwächer als das Pulsieren des Blutes in ihren Adern und sie glaubten den Atem der Götter auf ihrer Haut zu spüren â¦
Feuer und Wasser hatten Atlantis zerstört. Ein Kontinent war in den Abgrund der Vergangenheit gesunken. Doch die Ozeane stiegen und fielen im wiedergewonnenen Gleichgewicht und die Erde drehte sich weiter unter den ewigen Gestirnen â¦
21
Der Strand bestand aus einer gelben Sandfläche, die mit Seetang und angespültem Wurzelgestrüpp übersät war. Tote Fische verwesten im Schlamm. Bei Flut wurde die Insel fast vollständig von den Wellen überspült. Dort, wo der Boden allmählich ins Meer verlief, schimmerte das seichte Wasser in zahlreichen Farben, um dann weiter drauÃen in das tiefe Blau des Ozeans überzugehen. Im Schein der sinkenden Sonne saà Zena auf einem Felsvorsprung und hing ihren Gedanken nach. Die Flut war im Kommen; lange Schaumkronen hoben sich über die Riffe. Der Himmel erglänzte rotgold. Zena dachte an die Insel der Frauen, an ihre für immer verlorene Heimat. Tiefe Traurigkeit bedrückte sie. Was war aus Leia und ihren Kriegerinnen geworden? Schifft euch ein und sucht das Land des Roten Berges, hatte Zena ihnen aufgetragen. Hatten die Amazonen ihr Ziel erreicht? Oder waren sie in der unendlichen Weite des Ozeans verschollen? Zena spürte, wie ihr Herz immer schwerer wurde. Eine mächtige Inselfürstin war sie gewesen, hatte Gesetze erlassen, Gerechtigkeit geübt und Feinde in die Flucht geschlagen. Heute aber fühlte sie sich erschöpft und verbraucht. Der »Sternenstein« war im Meer versunken und mit ihm die Kraft, die sie beseelt hatte. Ihre Zeit war vorüber. Von jeher hatte sie die Fähigkeit besessen, Träume zu deuten und Visionen heraufzubeschwören; doch in dem Rauschen der Wogen, dem Pfeifen des Windes vernahm sie keine Sprache mehr, die sie verstehen konnte â¦
Zwei Gestalten, die über den Strand wanderten, rissen sie aus ihren Gedanken: Isa und Usir kamen langsam näher. Ihre Silhouetten hoben sich dunkel vor dem goldroten Himmel ab. Zenas Gesicht blieb unbeweglich, doch ihre Augen blickten scharf. Der
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