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Zwei Sonnen am Himmel

Titel: Zwei Sonnen am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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heraushob. »Licht!«, schrie sie.
    Sie wischten sich die Augen, weil sie nicht glauben konnten, was sie sahen. »Licht!«, wiederholte Isa mit bebender Stimme. »Tageslicht!«
    Sie sammelten ihre letzten Kräfte und ruderten keuchend. Ein fast schmerzhaftes Glück erfüllte sie; ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Sie rochen den Duft, den der Wind ihnen zutrug. Da vorne war Sonne, da vorne war Leben! Der schmale Bug des Schiffes bahnte sich jetzt einen Weg durch wogendes Seegras, an dem Fischlaich hing. Ein leises Plätschern: Der schwarze Rücken eines Fisches tauchte aus dem Wasser. Ein Ruderschlag … noch einer! Und dann schoss das Boot aus der Finsternis der Gewölbegänge in blendende Helligkeit. Mit einem Mal umfing sie das klare, blaue Licht. Sie blinzelten, kraftlos und benommen. Alles ringsum funkelte, glänzte und strahlte. Das Meer hob und senkte sich, die Wellen trugen Schaumkronen und die Algen fluteten wie schimmerndes Haar. Und darüber, am Himmel, wo noch immer rötlicher Staub in verschwommenen Streifen schwebte, strahlte die goldene Sonnenscheibe, unversehrt und einsam. Der unheilvolle Himmelskörper, dessen heißer Atem die Erde gestreift und dessen unermessliche Kraft die Wasserhülle zum Himmel gehoben hatte, entfernte sich zusehends, um weiter seine Bahn bis in die Tiefen des Alls zu ziehen.
    Sie atmeten tief und befreit. Hier war Luft und Licht, und Luft und Licht bedeutete Leben. Doch als sie sich umblickten, sahen sie nichts als die Weite des Meeres und einige rostrote Klippenzüge, die aus den Wogen ragten. Vereinzelte Trümmer trieben an den Felsen vorbei: verkohlte Holzstücke oder Äste, Reste von halb verbrannten Strohdächern. Sie sahen tote Vögel und hier und da einen aufgedunsenen Menschen- oder Tierleib.
    Â»Wo sind wir?«, fragte Usir.
    Torr schüttelte den Kopf. Er kannte sich in den Fahrtrichtungen der vertrauten Gewässer mit Sicherheit aus, aber hier …? Selbst die Magnetnadel setzte aus. Er versuchte eine aufkommende Unruhe zu beherrschen. Sein Leben lang hatte er der See die Stirn geboten und war immer Sieger geblieben. Er schmeckte den Wind und schnupperte, aber nichts deutete auf Land hin. Kein Vogel kreiste über den Felsen. Und obgleich ihm deren Formen seltsam bekannt vorkamen, hätte er nicht sagen können, wo er sie schon einmal gesehen hatte …
    Es war Morgen und die Brise gut. Mit geblähten Segeln kamen sie rasch voran. Später frischte der Wind mehr auf; die Strömung trug sie nah an den Ausläufern der Riffe vorbei. Sie mussten ständig auf der Hut sein, um die zahlreichen Unterwasserfelsen, die das Boot bedrohten, unbeschadet zu umfahren. Torr versuchte wieder und wieder mit seinem erfahrungsgeschärften Verstand und Blick ihre Position annähernd zu bestimmen - vergebens. Und die Magnetnadel verriet ihm auch nichts. Sie ruderten, das Gesicht grau vor Erschöpfung, die Augen eingesunken, die Lippen geschwollen und verkrustet. Sie hatten kaum noch Trinkwasser und der Proviant ging auch zu Ende. Hunger und Durst nagten an ihnen; ihr ganzer Körper schmerzte. Keiner sprach. Sie spürten, trotz der Ruhe des Meeres, dass sie etwas Unheimliches umgab, das keiner von ihnen beim Namen zu nennen vermochte. Eine grenzenlose Traurigkeit bedrückte sie. Und niemand wurde den aufwühlenden Gedanken los, diese bedrohlichen Klippen, diese aufragenden Felsspitzen schon früher einmal gesehen zu haben …
    Die Sonne sank; das Licht wurde milder, die Wellen durchsichtiger.
    Zena, die aufmerksam das Wasser beobachtete, wandte sich plötzlich an Usir. »Da … was ist das?«, fragte sie und deutete nach unten.
    Usir beugte sich vor und blickte in die Tiefe. Das Wasser war sehr klar. Die Sonnenstrahlen durchbrachen das Blau und ließen den Grund aufleuchten. Der Meeresboden fiel sanft ab; sie sahen, dass er mit Schutt und Steinen übersät war. Usirs Herz begann heftig und schmerzvoll zu schlagen. »Haltet euch mehr nach rechts!«, sagte er zu den Ruderern.
    Er deutete auf die Stelle, die seine Blicke angezogen hatte. Plötzlich durchlief es ihn kalt: Sie segelten über eine zerbrochene Säule hinweg. Die rote Bemalung des Kapitells war noch deutlich zu erkennen. Dann wurden Stücke von einem Gebäude sichtbar, dann noch mehr Säulen. Und schließlich, tief unten auf dem Meeresgrund, erspähten sie große, steinerne festgefügte Blöcke, die

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