Zwei Stunden Mittagspause
Sieger, wie immer.«
Margot Großmann rührte sich nicht. Nur ihr Gesicht veränderte sich erneut. Es wurde spitzer, kleiner, schmäler.
Zumbach wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht und rieb dann die schweißnassen Handflächen auf dem Bettuch ab.
»Margot …«, sagte er. »Was ist denn? Laß das jetzt. Das ist ein Spiel, das ich gar nicht mag. Es ist makaber …«
Schweigen.
Der herrliche Körper im orangefarbenen Licht rührte sich nicht und wurde kälter, als Zumbach ihn berührte und schüttelte.
»Mein Gott …«, stammelte Zumbach und rüttelte Margot, umfaßte ihren Kopf, hob ihn zu sich und bedeckte ihn mit Küssen. »Mein Gott … das ist doch nicht wahr! Das kann doch nicht sein … Es ist unmöglich …«
Er wehrte sich gegen die Erkenntnis, er kämpfte gegen die Wahrheit, weil sie unbegreiflich war, unübersehbar in ihren Folgen und alles mit sich reißend. »Margot! Margot … was hast du denn? Ich … ich …«
Er begann zu stottern, seine Gedanken überschlugen sich und peitschten Panik durch sein Blut.
Sinnlos – er wußte es – begann er, ihr Herz zu massieren, Luft in ihren Brustkorb zu pumpen, wie man Ertrinkenden das Wasser aus der Lunge drückt …
Er öffnete ihren Mund und versuchte eine Mund-zu-Mund-Beatmung, aber es war mehr ein keuchendes Küssen als ein Atmen. Immer wieder drehte er ihren Körper hin und her, schüttelte ihn, preßte ihn an sich und erschauderte schließlich, als er immer kälter wurde und steifer in den Gliedern.
Wie betäubt saß er dann neben der Toten, unfähig, klar zu denken. Mechanisch brauste er sich in der Duschkabine des Zimmers ab, kleidete sich an, zog die Steppdecke über Margot und starrte sich in dem großen Spiegel über dem Waschbecken an. Unter seinen Augen lagen die dunklen Schatten des Erlebnisses, aber der Blick war leer und ratlos.
Sie ist tot, dachte er. Margot ist tot! Im Zimmer einer Pension am Stadtrand. Sie liegt da, in der Glut ihrer Leidenschaft verbrannt, und wird jetzt eine kleine, heile, bürgerliche Welt zum Zusammenbruch bringen. Was ihr im Leben nie gelungen wäre – im Tode schafft sie es. Ich werde zu Benno Großmann gehen und ihm sagen müssen: Benno, deine Frau ist gestorben.. Heute, um halb zwei, in meinen Armen. Erschlag mich jetzt … aber Margot war meine Geliebte. Seit einem halben Jahr. Jeden Dienstag und Freitag trafen wir uns in der Pension, zwei Stunden lang, in der Mittagspause. Zu dir sagte sie immer, sie müsse zum Friseur … und die ganze Familie gewöhnte sich daran, wußte, Dienstag und Freitag geht Margot zum Friseur. Es wurde zur Selbstverständlichkeit. Aber sie fuhr zu mir, Benno, und betrog dich mit mir.
Und zu Luise, seiner Frau, mußte er sagen: Margot ist tot, Luise. Sie war meine Geliebte. Du hast es nie gemerkt, wir haben, wenn wir alle zusammen waren, das immer blendend überspielt. Hier und da ein Küßchen … wir waren ja eine befreundete Familie. Ich weiß, du hast sie aus einem Urinstinkt heraus nie gemocht, nicht allein, weil sie Bennos zweite Frau war und einundzwanzig Jahre jünger als er. Nein, du spürtest im Untergrund die Gefahr, du erkanntest die zwingende Schönheit ihres Körpers. Aber nie, nie wärst du darauf gekommen, daß ich … Was nun? Soll jetzt alles auseinanderbrechen?
Zumbach schluckte und trat vom Spiegel zurück.
Seine Gedanken wurden freier und kühler. Er konnte jetzt auf den zugedeckten, langgestreckten Körper blicken, ohne erneut in Erregung und Panik zu verfallen. Langsam ging er vor dem Bett hin und her und blickte schnell auf seine Uhr.
Kurz nach zwei. Er mußte im Büro anrufen, daß er heute nicht mehr käme. Ausreden gab es genug: Baustellenbesichtigung, Treffen mit einem neuen Bauherrn, Besuch beim Baustoffhandel, Auswählen der Kacheln für den Kirchenboden der Auferstehungskirche in der Hallmannstraße … ein Architekt hat hundert Möglichkeiten, sein Wegbleiben zu entschuldigen.
Zumbach kehrte zum Spiegel zurück, strich sich noch einmal über sein ordentlich liegendes, etwas angegrautes Haar und verließ dann das Zimmer.
Im Flur sah er sich um, ging zum Telefon und rief sein Atelier an. Fritz Bramske, sein ältester Mitarbeiter, nahm zur Kenntnis, daß der Chef nach Neuß gefahren sei, um ein zum Kauf angebotenes Industriegrundstück zu besichtigen.
»Eine gute Sache, Bramske«, sagte Zumbach mit ruhiger Stimme. »Ein reines Spekulationsobjekt. Das Grundstück liegt in einem Gebiet, das in den nächsten fünf Jahren ins Gespräch
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