Zwei Stunden Mittagspause
auch eine Erwürgte kann so aussehen, als wenn sie schläft. Lassen wir den Fall Zumbach / Großmann also offen, bis wir die Leiche gefunden haben …«
Es war eine schreckliche Stunde, als Kriminalrat Haberle ohne Umschweife Luise Zumbach erklären mußte, daß ihr Mann für die Mordkommission so lange in Verdacht stehen würde, ein Mörder zu sein, bis die Tote selbst ihn entlastete.
»Ich habe wenig Hoffnung, daß wir sie finden«, sagte Haberle ehrlich. »Ich frage mich nur: Warum gab Ihr Mann Ihnen eine falsche Lageskizze?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Luise kaum hörbar. »Aber er war kein Mörder, davon bin ich fest überzeugt.«
»Als Ihr Mann Margot Großmann verscharrte, litt er nicht etwa unter Gedächtnisschwund. Er konnte sich sehr gut erinnern, wo er sie begraben hatte. Panik überfiel ihn, als er feststellen mußte, daß seine Geliebte tot war – wenn es tatsächlich ein Unfall gewesen ist, wie Sie annehmen. Aber dann, als er sie fortschaffte, handelte er bewußt. Und er handelte mit kalter Berechnung, wenn er Margot Großmann ermordet haben sollte.« Haberle sah auf Luises gesenkten Kopf. »Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Ihnen auch noch die letzte Wahrheit zu sagen: Zum Abschied hat Ihr Mann Ihnen eine Lüge hinterlassen.«
»Das ist nicht wahr!« Luises Kopf zuckte hoch. Ihre blauen Augen waren weit aufgerissen, voll Empörung und Widerstand gegen die Fülle von Schmerz, die sie durchflutete.
Als sie sich wieder gefaßt hatte, sagte sie: »Sie haben Heinrich nicht in dieser Stunde erlebt, in der er mir alles gestand. Er war fertig, restlos am Ende, ein totaler Zusammenbruch … da lügt man nicht mehr. Da will man sich nur von der unerträglichen Last befreien.«
Haberle nickte schwach. »Psychologisch gesehen ist das alles richtig. Aber wo ist die Leiche von Margot Großmann? Das allein gilt! Und Ihr Mann hat dieses Wissen mit in sein Grab genommen. Warum? Was hatte er zu verbergen?«
»Er war kein Mörder!« schrie Luise auf. Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte. »Er hat sie nicht umgebracht! Er war dazu nicht fähig …«
»Das will ich Ihnen ja gerne glauben, aber in der Kriminalistik gilt leider nicht der Glaube, sondern einzig und allein der Beweis. Und solange die Leiche nicht gefunden wird, ist Heinrich Zumbach in unseren Augen …«
Er schwieg, doch Luise wußte auch so, wie das Ende des Satzes gelautet hätte. Es gab darauf nichts mehr zu erwidern.
Heinrich Zumbach galt als Mörder.
Sie war die Frau eines Mörders.
Es gab nur eins: Die Zähne zusammenbeißen und auf das Wunder hoffen, daß jemand die Stelle finden würde, wo Margot Großmann begraben lag.
Aber gibt es heute noch Wunder?
Nach drei Wochen wurde die Suche eingestellt. Die Akte Großmann wanderte in den Schrank für ›ungeklärte Fälle‹. Es waren nicht viele Akten, und Kriminalrat Haberle war stolz auf die Erfolge seiner Beamten.
Aber diese Akte Großmann ärgerte ihn. Sie würde daliegen und verstauben, sie würde keinen mehr interessieren, doch sie würde immer den Namen Zumbach mit einem Mordverdacht belasten, obwohl einem der gesunde Menschenverstand sagen mußte, daß es wirklich ein Unfall gewesen war – ein postkoitaler Kollaps.
»Heinrich Zumbach war ein ausgemachter Narr«, sagte Haberle, als die Mordkommission wieder einmal zu einer Besprechung beim Chef zusammensaß.
»Gibt es sonst was Neues?«
Kommissar Feiger vom Morddezernat II legte eine dünne Akte auf den Schreibtisch des Chefs.
»Christian Hahmel hat gestanden.«
»Na endlich!« Haberle atmete auf. Wieder ein gelöster Fall. Mord an einer Greisin wegen ihrer Ersparnisse. Das Geld hatte der Mörder allerdings nicht gefunden, nur das Portemonnaie der alten Frau, das DM 14,49 enthielt.
So billig ist ein Menschenleben. DM 14,49.
Und der Mörder Hahmel war siebzehn Jahre alt …
Im Spätsommer sah man Benno Großmann und Luise Zumbach mehr als sonst zusammen. Sie besuchten die Klubabende zusammen, sie fuhren zur Weinlese nach Meran, sie gingen in die Oper und in Konzerte.
Was alle munkelten, machte Großmann an einem Abend im Oktober zur Wahrheit.
»Luise«, sagte er. »Du hast mir geholfen, Margot zu vergessen … Nein, das ist keine Phrase … ich denke an sie, aber ich denke an sie wie an einen Menschen, an dem man vorbeigegangen ist. Keine Bitterkeit ist mehr da, kein Schmerz. Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, wenn du an Heinrich denkst.«
»Er gehört einer vergangenen Zeit an … weiter nichts. Wir aber
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